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Donnerstag, 5. Dezember 2019

Printseite November 2019 / Distanz

Foto: Lizenzfreies Foto von pixabay.com

VON EVA MAINUSCH

ZWEI IN EINS

Du bist so weit weg. Ich spüre dich kaum noch. Ich strecke die Hand nach dir aus, suche deine Augen nach mir ab, aber so funktioniert das nicht. Aus eins wurden zwei und jetzt sehe ich dich fast wie eine Fremde. Eine Fremde, die hier nicht hingehört. Oder eine alte Freundin aus dem Leben, in einem anderen Kapitel. Eine die man lange nicht gesehen hat und bei der man sich nicht sicher ist ob man sich noch kennt. Der kalte Spiegel vor mir macht sichtbar, was ich in mir sehe. Seit ich zurückgekehrt bin, bin ich ein Supermarktangebot, Zwei in Eins. Glücklich, aber zerrissen.

Es klopft an die Tür; das Essen ist fertig. Kaum wende ich meinen Blick, schrumpft die Distanz zwischen uns. Von ganz allein ziehen wir uns wieder in eins zusammen. Meine Schwester, die den Kopf zur Tür herein streckt, weiß nichts von dem Supermarktangebot. Sie sieht in mir einfach nur ihre Schwester – bei jedem Wiedersehen ein wenig Anders, doch immer die Alte, immer die Schwester. Der Gedanke bringt mich zum Lächeln und glättet die Falten. Dort, wo wir nicht sofort wieder glatt miteinander verschmolzen sind. Das Lächeln ist identisch, wenn auch nicht das, was uns zum Lächeln bringt. Lächeln braut Brücken. Brücken, die uns einander näher bringen, die innere und äußere Distanz überwinden.

Im Rausgehen werfe ich noch einen Blick in den Spiegel. Wo bist du gewesen, wo ich nicht war? Was haben deine Augen gesehen, das meine nicht sahen? Bin ich wirklich stehen geblieben und habe von hinten zugeguckt wie du vorausläufst, stolperst, dich fängst und findest? Wie ich mich von mir selbst entferne? Egal, denn ich bin jetzt Zwei in Eins nicht Eins in Zwei. Zerrissen, aber glücklich.



VON LARS HYBSZ

Dort in der Ferne! Das Gipfelkreuz! Endlich, endlich, endlich! Wir haben es geschafft! Obwohl ich nicht mehr daran geglaubt habe, bin ich weiter gegangen. Durch Schnee und Eis, über Steine und Geröll, vorbei an Felsspalten und Klippen. Meine Schritte werden langsamer, dann bleibe ich stehen. Ich umfasse seine Beine ein wenig fester und schiebe ihn auf meinem Rücken ganz nach oben. Ich spüre, wie auch sein Griff fester wird. Von hinten umklammert er meinen Oberkörper. Auf einmal spüre ich seine Lippen an meinem Ohr. Er flüstert: „Danke!“

Er war nur einen kurzen Moment unaufmerksam gewesen. Ein falscher Schritt, ein gellender Schrei und sein Fuß war gebrochen. Ich lief sofort zu ihm, dabei fiel ich selbst beinahe hin und dann starrten wir uns ein paar Minuten einfach nur an. Wir wussten beide, was das bedeutete. Eine solche Verletzung an diesem Punkt des Aufstieges kam einem Todesurteil gleich. Wir waren zu zweit unterwegs und der Weg zurück zum Basislager war einfach zu weit. In dieser Höhe, bei dieser Kälte und in diesem Schneesturm ist der eigene Körper so stark beansprucht, dass es nicht in Frage kommt, einen verletzten Kameraden über diese Distanz hinweg zu tragen. Der Gipfel hingegen lag, mit Mühe und Not und jeder Menge Glück durchaus im Rahmen des Möglichen. Denn die Strecke war weitestgehend eben.

Jetzt sind es nur noch ein paar Meter bis zum Gipfelkreuz und dann berühren meine Hände auch schon das Holz. Auch durch die dicken Handschuhe kann ich die Maserung spüren. Ich setze ihn auf einen Stein und mich selbst daneben, in den Schneesturm. Wir blicken umher und sind geblendet von der weißen Umgebung. In meinem Rucksack ertaste ich den gravierten Metallteller. Das wird sein Grabstein. Ich werde ihn zurücklassen. In ein paar Stunden werde ich aufbrechen, nachdem wir uns unzählige Male versichert haben, dass es richtig war, ihm noch diesen Triumph zu gönnen. Ich werde gehen, werde bitterlich weinen und mich unzählige Male nach ihm umdrehen. In der Ferne wird er kleiner und kleiner werden und irgendwann kann ich ihn nicht mehr sehen.


VON ELINA GÖHRMANN

Zoll. Meter. Kilometer.
Ich renne, laufe – ein kurzer Moment.
Meile. Seemeile. Fuß.
Sie brennen, sind wund: Blasen.
Tagesreise, Monatsreise, Jahresreise.
Schlapp, schlapp, schlapp
mach ich in Kürze.
Noch einen Doppelschritt.
Und dann noch
eine Fingerbreite.

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Mittwoch, 21. November 2018

Workshop vom 17. November 2018 / Fotos erzählen eine Geschichte

Foto von Lea Hoppenworth
Fotos können ihre eigenen Geschichten erzählen. Wie diese aussehen könnten, haben sich einige Workshopteilnehmer (und auch Referenten) überlegt. Die Methode und deren Ergebnisse zeigt, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmungen und Ideen sind.

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