Mittwoch, 21. November 2018

Workshop vom 17. November 2018 / Fotos erzählen eine Geschichte

Foto von Lea Hoppenworth
Fotos können ihre eigenen Geschichten erzählen. Wie diese aussehen könnten, haben sich einige Workshopteilnehmer (und auch Referenten) überlegt. Die Methode und deren Ergebnisse zeigt, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmungen und Ideen sind.

von David Koch

Was hab ich mir nur dabei gedacht? Kein Wunder, dass mich der DJ schon so schräg angesehen hat, als ich den Track ausgewählt habe. Coldplay auf einer Halloween-Party? Und dann auch noch „das alte Coldplay“ mit Emotionen und so? Ist das noch Kontrastprogramm oder schon ein Fauxpas? Dumm ist das, einfach nur dumm. Aber gut, jetzt steh ich hier oben, die Meute da unten will gefüttert werden. Sollen sie es doch bekommen, das steht ihnen zu. Karaoke wurde sowieso von Sadisten erfunden. Und die bezahl ich jetzt, indem ich mich der Peinlichkeit preisgebe. Aber ich wollte das. Erinner’ dich, bleib dir treu. Du wolltest das, eben weil du dich nicht verstellen möchtest, weil es ehrlich ist. Ihr wollt was gruseliges, Schockeffekt? Was gibt es schlimmeres als Ehrlichkeit? Nicht die Lüge verletzt, sondern die Wahrheit dahinter. Und hier verletzt sich gerade jemand selbst. Also schaut alle mal hier hoch. „Look at the stars, how they shine for you...“

von Maike Rönnefahrt

Trotz der Kälte, die für Mitte Juni sehr ungewöhnlich war, fror Klara nicht, Sie war den ganzen Weg von der U-Bahn-Station zum Stadtpark gerannnt und dennoch kam sie, wie jetzt feststellen musste, zu spät. Das Konzert hatte bereits begonnen. Die Jungs spielten gerade das Intro zu „Rode My Love“. Das tiefe Brummen des Basses jagte ihr einen Schauer über den Rücken, als sie daran dachte, zu was die Finger, die ihn spielten noch fähig waren. Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her, dass sie mit...  Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Eher sollte sie schnellstens einen Weg finden näher an den Bühnenrand zu kommen. Sie musste mit Tim sprechen. Sie ließ den Blick über die Menge schweifen, als Tim die ersten Zeilen des Songs sang. In seiner tiefen Stimme schwang so viel Gefühl mit, dass Klara kein Zweifel blieb, an wen er gerade dachte. Und genau wegen dieser Person suchte sie nach einer Möglichkeit zu ihm vorzudringen.
„Pass doch auf!“, raunzte sie der Typ an, an dem sie sich gerade vorbeigeschoben hatte. Klara ignorierte ihn und drängelte sich einfach weiter durch die Menge. Was blieb ihr auch anderes übrig?
Immerhin war sie nun so weit vorgedrungen, dass sie Tims Kopf und die Hand in der er das Mirko hielt, sehen konnte. Die Bühne war in ein rosa Licht getaucht, der Name der Band zierte die blaue Rückwand. Der nächste Song ging direkt in den vorigen über. Es war „yellow“, ihr Lieblingslied. An der rechten Bühnenseite wurden die Lyrics wie beim Playback-Singen angezeigt, aber Klara brauchte dort nicht hinschauen. Sie kannte jede Zeile auswendig. Sie riss beide Arme nach oben und brüllte Tims Namen, aber in der Menge, aus der viele weibliche Fans zu ihm hochschrien, stach sie nicht hervor. Sie musste weiter vor. Leise Entschuldigungen murmelnd, drängte sie sich an weiteren tanzenden Körpern vorbei, wich Ellenbogen aus und hatte es gegen Ende des dritten Liedes tatsächlich bis an den Bühnenrand geschafft. Ihre Arme wie wild durch die Luft schwingend versuchte sie die Aufmerksamkeit der Bandmitglieder auf sich zu ziehen. Die Mädchen neben ihr verdrehten genervt die Augen und hätten sie vermutlich am Liebsten zurück in die Menge geschubst. Das war ihr aber egal, denn endlich fiel Johns Blick auf sie. Ohne sich auch nur um einen Takt zu verspielen, runzelte er die Stirn und formte mit seinen Lippen wortlos ihren Namen. Sie zeigte auf Tim und rief über die Musik hinweg: „Ich muss mit ihm sprechen!“
Als der Song endgültig zu Ende war, ging John sehr darauf bedacht nicht über die Kabel der Instrumente zu stolpern zu Tim. „Wir haben Besuch.“ Er nickte zu ihr. Tim grinste: „Du meinst, du hast Besuch.“
Klara schüttelte wie wild mit dem Kopf und zeigte auf Tim. Dieser hob fragend die Augenbrauen, kam dann aber zu ihr. Aufgeregt richtete sie ihm die Nachricht ihrer Freundin aus. Ab jetzt lag es an ihm und sie hoffte, dass er die richtige Entscheidung traf.

von Yasemin Rittgerott

Karaoke ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Meine Freundinnen dachten aber, das wäre eine gute Idee für einen lustigen Freitagabend und haben mich mitgeschleppt. Jetzt stehe ich in diesem dunklen Schuppen an der Bar und verdrehe die Augen über die Gruppe betrunkener Junggesellen, die Hölle von Wolfgang Petry ins Mikro grölen. Dann wird es kurz still, während auf der Bühne ein Wechsel stattfindet. Ich bestelle mir noch ein Bier. Währenddessen beginnen die ersten Töne von Coldplay’s Yellow und ich verdrehe wieder die Augen. Im Gegenteil zu den Meisten bin ich kein großer Fan...
Doch dann setzt seine Stimme ein; ganz sanft beginnt sie den ganzen Raum auszufüllen. Die Gespräche um mich verstummen und die Köpfe wenden sich zur Bühne – auch meiner. Dort steht er, mit wuscheligen Haaren, halb vom Publikum abgewandt und schaut mit halb geschlossenen Augen auf den Boden. Ich bin wie versteinert und starre einfach nur sein Profil an, während seine warme Stimme meine Ohren flutet und mir unter die Haut kriecht. Vielleicht war dieser Karaoke Abend doch keine so schlechte Idee.
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