Mittwoch, 29. Juni 2016

Printseite Juni 2016 / Peiner Freischießen


von Tassia Weimann 

Mit großen Augen stand ich zwischen den vielen Beinen am Markplatz und hörte der Marschmusik zu. Die Spielmannszüge marschierten an mir vorbei. Voller Faszination schaute ich mit meinen fünf Jahren zu meiner Mutter hoch und fragte sie, wann ich denn endlich im Spielmannszug spielen dürfe. Sie vertröste mich noch ein paar Jahre bis ich mit elf Jahren endlich meine Querflöte in den Händen hielt. Freischießen gehörte seitdem immer zu den Highlights im Jahr – etwas auf das man sich das ganze Jahr vorbereitet und mit Spannung erwartete. Und so führte ich die kleine Familientradition weiter. Doch fünf Jahre später trat ich aus, war mitten in der Pubertät und andere Sachen wurden wichtiger. Seitdem meide ich das Freischießen, fahre lieber in den Urlaub oder schiebe die Klausurenphase vor. Es ist nicht eben nicht mehr dasselbe. Ich bin kein Teil mehr des Ganzen, kein Teil der Tradition und kein Teil eines Vereines. Wenn ich jetzt die Marschmusik höre, klingt immer ein wenig Wehmut mit und manchmal auch ein wenig Sehnsucht. Ich stehe auf der falschen Seite der Straße. In meiner Studentenstadt gibt es zwar das ein oder andere Stück, was ich kenne, aber nur zur Faschingszeit. Aber das Freischießen ohne all die alten Traditionen ist für mich nicht vollkommen. Für die Festzelte ohne Eintrittspreise fühle ich mich zu alt und in den Vereinszelten würde ich mich unbehaglich fühlen. Also gehe ich lieber nicht hin, behalte die schönen Erinnerungen an eine schöne Zeit und summe die Märsche mit, wenn sie mir doch irgendwo über den Weg laufen.

von Elina Göhrmann 

In meinen alten Kalendern wurde jedes Jahr das erste Juliwochenende mehrmals rot eingekreist. Mal mit tausend Smileys versehen, mal mit Herzen, mal mit einem genauen Plan, wann ich mit wem zum Freischießen gehen werde. Während ich in Peine zur Schule ging war diese sogenannte fünfte Jahreszeit schon Wochen vorher immer felsenfest mit eingeplant. Jetzt blicke ich bei einem Besuch in die Zeitung und bemerke, dass diese Freude abgenommen hat. Jahr für Jahr ist sie kleiner geworden. Im ersten Jahr, weit weg von Peine, war es noch schade, dass genau zu dieser Zeit Prüfungen angesetzt waren, im zweiten habe ich nicht mehr krampfhaft versucht, dieses Wochenende frei zu bekommen und nun im dritten Jahr habe ich es sogar glatt vergessen. Das Freischießen wurde abgelöst. Abgelöst durch die Feste in der Stadt, in der ich jetzt studiere. Es ist fast so, als würde es einfach zu einem anderen Lebensabschnitt dazugehören und irgendwie ist das auch gar nicht schlimm. Denn anstatt mir darüber den Kopf zu zerbrechen oder zu versuchen, diese Freude wieder zurückzuholen, genieße ich stattdessen die zahlreichen fantastischen Erinnerungen, die es mir in meiner Zeit in Peine eingebracht hat. Und das kann ich zu jeder Zeit und nicht nur am ersten Juliwochenende.

von Yasemin Rittgerott 

1992: Meine Mutter muss wohl so im vierten Monat mit mir schwanger gewesen sein; der erste Ausflug zum Freischießen war für mich also schon sehr früh.
1996: Ich durfte ganz lange aufbleiben und von Papas Schultern aus das erste Mal das Feuerwerk bestaunen.
1997: Jedes Jahr ziehen Spielmannszüge und Kooperationen durch Peines Straßen – ein riesen Spektakel. Mein Opa war Mitglied in der Schützengilde, ich stand in der Menge und habe ganz aufgeregt am Straßenrand darauf gewartet, dass er an uns vorbeikommt, ich zu ihm laufen und ihm, wie es Tradition ist, meine Rose geben konnte.
1999-2006: Freischießen war jedes Jahr aufregend. Etwas schüchtern, was Fahrgeschäfte angeht, haben meine Schwester und ich uns nur vom typischen Kinderkarussell mit Feuerwehrauto und Pferdekutsche zur Berg und Tal Bahn gesteigert. In unseren jüngeren Jahren waren aber vor allem Zuckerwatte und große mit Helium gefüllte Luftballons unsere Highlights. Ich erinnere mich noch zu gut an einen Papagei, der tagelang an meiner Zimmerdecke schwebte, bevor er sich mehr und mehr Richtung Boden verabschiedete, nur mir viel der Abschied auch dann noch sehr schwer.
2007: Zwar war ich auch schon früher mit Freuden auf dem Schützenplatz allein herumgelaufen, aber mit 14 durfte ich zum ersten Mal ganz alleine los, ohne mich zwischendurch bei meinen Eltern am Börsenzelt melden zu müssen. Dabei wurde mir dann auch zum ersten Mal eine Rose geschossen.
2009: Meine erste durchgemachte und damit längste Nacht, durchgetanzt auf dem Niedersachsenzelt. Auf dem Heimweg ging langsam die Sonne auf und ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, im Hinblick auf die, in ein paar Stunden anstehende, Reise auf einem Kreuzfahrtschiff.
2011: Mit dem Glück sehr nah am Schützenplatz zu wohnen und den Eltern im Urlaub, wurde mein zu Hause am Freitag zur Anlaufstelle für viele Freunde, um dann gemeinsam in die Nacht zu starten.
2013: Das erste Freischießen in langer Zeit, das ich aufgrund eines Auslandsaufenthaltes nicht besuchen konnte.
2014: Zwei Jahre sind seit dem Abitur vergangen, aber hier ist immer noch alles, wie immer. Wir sind vielleicht älter geworden und springen nicht mehr völlig außer Rand und Band über die Tanzfläche, aber kaum betritt man den Festplatz, erspäht man im Gemenge tausend bekannte Gesichter.
2016: Gerade bin ich wieder aus dem Ausland zurück und weiß schon genau, wo ich dieses Wochenende meine Freunde treffen werde.

von Jonas Gadomska 

„Ey, Jonas! Wir zählen dieses Wochenende auf dich!“, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um und schaue in die Runde. Meine Freunde haben sich in einer Art Halbkreis aufgestellt und gucken mich nun erwartungsvoll an. Ich zögere. „Du hast es doch nicht etwa vergessen?“ Während ich mir meinen Kopf kratze, symbolisiere ihnen mit einem Achselzucken, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wovon sie sprechen. „Man Junge, wir sind beim Freischießen!“, sagt einer meiner Kumpels genervt. Stimmt, Freischießen! Es war ja immer kurz nach dem Beginn der Sommerferien. Und ich war fast jedes Jahr mit ihnen oder mit meinen Vereinskollegen dort. Ich räuspere mich. „Ja, ich weiß noch nicht ob ich kommen werde. Sorry Leute!“ Sie gucken mich verdutzt an. Ich habe es halt immer gehasst, mit dem Fahrrad in der Nacht durch den halben Landkreis fahren zu müssen. Oder viel zu viel Geld für eine Bratwurst auszugeben, die so dunkel ist, wie die Steine der Brauerei. Aber was ist ein Sommer in Peine ohne Freischießen? „Wisst ihr was Leute? Ich komme unter einer Bedingung mit! Dieses Freischießen gebt ihr die Bratwurst aus!“ Alle fangen an zu lachen. Ich hoffe, dass sich das Freischießen auch so gut anfühlen wird, wie seine Planung.
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