Mittwoch, 22. November 2017

Printseite November 2017 / Umwege


von Niklas Stuhr 

Ist der Weg auch das Ziel, wenn der Weg ein Umweg ist? Und was wird dann aus dem eigentlichen Ziel überhaupt, wenn ja nun auf einmal der Weg zum Ziel geworden ist? Vielleicht ist der Lebensweg so verwirrend für den Großteil der Leute, weil schon die Begrifflichkeiten so verwirrend formuliert und behaftet sind. Für mich ist das Ganze eh ein Mysterium. Ich kann keine klare Linie (was ein Umweg sowieso nicht ist) erkennen. Natürlich kann man immer sagen, dass man auch über einen Umweg ans Ziel kommen kann, aber sollte man deswegen das Abkommen vom eigentlichen Weg (Moment, oder dem Ziel? Verwirrend) in Kauf nehmen? Meist kommt man auf Abwege, wenn man verwirrt, verblendet, benebelt oder abgelenkt ist. Wird dieser Zustand auch noch durch die fehlende Klarheit des Ziels verursacht, verrennt (kleines Wortspiel) man sich in einem ewigen Teufelskreis. Vermutlich ist der einfachste Weg zum Ziel immer noch dem Pfad zu folgen, auf dem die meisten Leute laufen. Das mag natürlich verpönt sein und viele Wege führen nach Rom (ist Rom vielleicht das Ziel?), doch ich bezweifle, dass es für jeden Menschen einen eigenen Weg nach Rom gibt. Nun habe ich fast ein Plädoyer gegen Individualismus und für den Weg der Masse gehalten, doch würde ich natürlich nie selbst sagen, dass ich dem Weg anderer Leute folgen oder meine eigene Individualität aufgeben möchte. Fast schon ein Teufelskreis und genauso verwirrend wie die Definition des Ziels.

von Lara Konrad 

Hätte ich nicht die längere Strecke genommen, hätte ich niemals den Sonnenuntergang über dem Meer gesehen. Ich hätte nicht nach dem Weg fragen müssen und somit nie meinen jetzigen besten Freund kennengelernt. Wäre ich auf dem gewohnten Weg geblieben, dem vertrauten Weg, hätte ich nie all diese neuen Dinge gesehen, nie mein Lieblingscafé gefunden, nie zum Lied des Straßenmusikers im Regen getanzt. Ich hätte mich nie verirrt und wäre auf der Suche nach meinem Weg nie auf all die kleinen Pfade gestoßen, die voller Überraschungen stecken und von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren. Ist der kürzere Weg besser, nur weil er effizienter ist? Ist es nicht viel aufregender, einen Umweg zu nehmen, selbst mit der Gefahr, sich zu verlaufen? Die Schwierigkeit liegt schließlich nicht darin, einen bereits gefundenen Weg entlang zu gehen; die Schwierigkeit liegt darin, seinen Weg zu finden, und das immer wieder aufs Neue. Dabei ab und zu vom gewohnten Weg abzukommen, kann einen an ganz neue, nie gekannte Ziele transportieren; Ziele, nach denen man nie gesucht hat, die aber doch die eigenen sind. Es kann einen über gänzlich ungewohnte Wege führen, die nicht immer leicht sein mögen - aber um Wege zu finden, muss man manchmal Umwege gehen.

von Hannah Springer 

Ich hatte da so eine Vision. Eine Vision von meinem Leben. Von meinen Träumen, Zielen und Erwartungen. Jahrelang habe ich an dieser gearbeitet und gekämpft, dass sie Gestalt annimmt. Dass sie kein Hirngespinst bleibt, sondern Stück für Stück zur Realität wird. Es hat gut geklappt. Ich kam voran und mir war klar, wie mein Weg verlaufen sollte. Welche Schritte die nächsten sein werden und was ich dafür tun müsste. Bloß nicht stehen bleiben, immer weiter gehen und möglichst auf direktem Weg zum Ziel -das war meine Devise. Hindernisse, Stopps oder gar Umwege waren nicht eingeplant. Mein Weg führte schnurstracks geradeaus. Vergessen habe ich das Links und Rechts. Übersehen, was am Wegesrand lag und gedankenlos jede andere Option abgelehnt. Ein Tunnelblick nach vorne erlaubt keine Seitenblicke. Jetzt gerade sieht mein Tunnelblick Schwarz. Schwarz für mich und meinen Weg. Schwarz für mich und meine Zukunft. Schließlich erlaubt die meterhohe Wand vor mir kein Weiterkommen. Das war so nicht vorgesehen. Zugegeben, ich stehe etwas planlos davor. Seit ich denken kann ist es das erste Mal, dass ich nicht weiterkomme. Dass ich keinen genauen Plan habe. Jetzt verfluche ich, dass mein Blick nie abgeschweift ist. Niemals andere Wege und Ziele in Betracht gezogen hat. Vielleicht wäre mir mit ein bisschen Weitsicht die Wand schon früher aufgefallen oder ein anderer Weg, auf dem ich auch ans Ziel kommen würde. Woher habe ich bloß die Gewissheit genommen, dass es nur diesen Weg für mich gibt. Ich gehe langsam auf das große Schwarze vor mir zu und berühre es mit der Hand. Tatsächlich, es ist da und lässt sich kein Stück bewegen. Kalt, starr und bewegungslos liegt es vor mir. Ich drehe mich um und lasse es hinter mir. Auf der Suche nach ein bisschen Weitsicht.

von Tassia Weimann 

Ich wollte auf dem direkten Weg zu dir. Immer gerade aus. Mit dem perfekten Plan im Kopf: Von einer gemeinsamen Zukunft, vom Mitwippen der Musik beim gemeinsamen Besuch von Konzerten, von tiefgründigen Gesprächen, von unendlich vielen Küssen. Doch dieser Plan war nur meiner, nicht deiner. Wir sind unterschiedliche Wege gegangen. Manchmal haben sie sich gekreuzt, haben mir einen Vorgeschmack gegeben auf das was sein könnte. Doch dann wurde ich wieder auf meine eigene Strecke befördert. Manchmal hat sie mich zur Strecke gebracht.
Und ich habe dich ziehen lassen. Um dich trotzdem gedanklich zu verfolgen. Das Interesse hat nie aufgehört. Konnte meinen Blick nicht von unserem Labyrinth lösen. Konnte die Pläne nicht gehen lassen, obwohl ich jeden Moment eine Mauer erwartete.
An dem Moment, an dem ich am meisten davon Abstand gewonnen hatte, kurz davor war die Gedanken abzuschalten, bog ich um die Ecke. Und war in der Mitte angekommen. Und da warst du. Mit offenen Armen, mit einem Plan, der meinem so sehr ähnelte.
Und da stand ich. Glücklich, aber unglaublich verwirrt. Nie hätte ich geglaubt, dass unsere unterschiedlichen Wege nur ein Umweg waren, die das gleiche Ziel hatten.

von Yasemin Rittgerott 

Um dich zu umgehen, würde ich alles tun. Nur weg von dir. Fort, weit fort von dir. Ich laufe im Kreis. Ich dreh mich um, drehe mich um mich, dreh mich um dich. Weiter zu Orten, an denen ich noch nicht gewesen bin. Orte, an die ich nie wollte. Hallo, jetzt bin ich trotzdem da. Hin und her. Her und hin. Wo komm ich nochmal her? Wo will ich hin? Was war das Ziel? Warst das nichtmal du? Um mich ging es schon lange nicht mehr. Nun laufe ich, um Wege weg von dir zu finden. Bin ich hier richtig? Geht es hier lang? Oder lande ich am Ende wieder in deinem Schoß? Kein Ort ist besser als dein Ort. Dein Ort war auch mein Ort. Doch du willst alles, willst alles von mir. Ich will das nicht mehr. Lieber im Kreis rennen als stillzustehen, einzufrieren, nie zu gehen.
SHARE:
© Wortfluss Peine
Blogger Designs by pipdig