Mittwoch, 23. November 2016

Printseite November 2016 / Optimierung


von Lara Konrad

Laut Wikipedia habe man unter einem Optimum das beste erreichbare Ergebnis zu verstehen; die Suche nach diesem Ergebnis nenne man Optimierung. Schön kurz und knapp zusammengefasst, also optimal, um Optimierung anderen zu erklären. Aber was bedeutet Optimierung für uns, ganz konkret? Leben wir nicht mittlerweile alle in einer Welt der Optimierung? Kinder gehen nicht mehr in den Kindergarten, sondern in die Vorschule, damit sie einen Vorteil haben in der Grundschule. Und wer dann in der Grundschule gut ist, der kann aufs Gymnasium. Und wer auf dem Gymnasium gut ist, der kann studieren oder kriegt die besten Ausbildungsplätze. Das Lernen rückt in den Hintergrund und Spaß - was ist Spaß? Es geht darum, zu funktionieren, und das von Anfang an. Wer funktioniert, der passt in unsere Leistungsgesellschaft, der kommt gut durchs Leben. Kinder, die zum Beispiel ADHS haben, werden mit Medikamenten funktionsfähig gemacht. Wer in der Schule auffällig oder nicht gut genug ist, wird aussortiert. Denn schließlich geht es hier um die Optimierung der zukünftigen Generation, und wer da nicht funktioniert, hat Pech gehabt. Aber wollen wir das tatsächlich? Wollen wir eine optimierte Gesellschaft mit lauter gleichen, funktionierenden Menschen? Sollten wir nicht vielmehr die Individualität eines jeden zu schätzen wissen, um das Menschsein nicht zu verlieren? Denn schließlich lässt uns erst unsere Individualität zum Menschen werden, und ist Menschsein nicht viel wichtiger, als optimal zu funktionieren?

von Hannah Springer

Ich war schon immer ehrgeizig und wollte für meine Ziele etwas tun. Nicht nur über Träume reden, sondern sie leben. Fortschritte machen und Schritt für Schritt meinem Ziel etwas näherkommen. Mit der Zeit wurden meine Schritte länger, der Abstand zwischen meinen Füßen größer und ich sprang förmlich. Wie beflügelt zog ich an Leuten vorbei, die mir zuriefen darauf zu achten, nicht abzuheben. Ich solle die Bodenhaftung nicht verlieren und immer wissen, wann ich am Ziel bin. Lachend beruhigte ich sie. Ich wüsste genau was ich da tue. Schließlich hörte ich immer wieder von Denen, die das Angestrebte verpassten. Sie waren ohne zu stoppen, immer höher geklettert, obwohl sie von dort oben kaum noch den Boden sehen konnten. Das anfängliche Ziel war längst erreicht, doch statt Freude war da nur weiterer Ehrgeiz nach Höhe. Ich hatte gelacht, mir würde so etwas nicht passieren. Jetzt, ein Jahr später, bin ich selbst so hoch, dass ich den Boden nicht mehr finde. Ich bin immer höher und höher geklettert, ohne mich umzudrehen und ohne zu merken, dass ich schon längst das Ziel passiert habe. Mein Ziel, dass ich vor ein paar Monaten untenstehend, mit dem Finger auf einen Fels zeigend, festgesteckt habe. Jetzt, stehe ich hier oben und finde es nicht mehr. Habe seit Ewigkeiten das Gefühl verloren auf dem Boden zu stehen und nach rechts und links zu blicken. Schon längst bin ich alleine, habe alle überholt, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben. Vor ein paar Wochen war ich noch stolz, die Einzige und Weiteste zu sein, doch jetzt…Ich sehne mich nach einer Person, die mich hier oben erreicht, die mir zulächelt und den Weg nach unten zeigt. Allein finde ich ihn nicht mehr, ich will zurück nach unten. Ich verliere den Halt und rutsche langsam ab, ich falle…und frage mich, war es das wirklich wert?

von Elina Göhrmann

Mit Schwung zieht er den marineblauen Strich von der linken Ecke der Leinwand in die Mitte. Noch ein bisschen helles Blau, dort ein bisschen Weiß. Er denkt an Wellen während er malt, aber er mochte schon immer lieber die abstrakten Kunstwerke. Die Leinwand füllt sich: Die Farben vermischen sich, werden übereinander getupft oder fließen nebeneinander her. Den letzten Strich setzt er als die Sonne untergeht. Er geht ein paar Schritte zurück und hat das Gefühl, das Bild ist unfertig. Es drückt nicht das aus, was er beim Malen gefühlt hat. Es fehlt etwas. Fast eine Woche steht er jeden Tag vor dem Bild und grübelt. Mit Skizzen sucht er nach dem fehlenden Stück, im Halbschlaf sieht er das Bild vor sich. Am sechsten Tag fällt ein Sonnenstrahl auf die untere Hälfte der Leinwand. Da. Genau da muss das fehlende Stück hin. Er tunkt einen Pinsel in die lila Farbe und tupft einen großen Fleck auf die Stelle. Für ihn ist es vollbracht.

von Yasemin Rittgerott

Ich nehme Anlauf. Ich springe nach vorn – doch nicht weit genug. Ich springe hoch – doch reiße die Latte runter. Ich renne – doch erreiche das Ziel nicht schnell genug. Ich habe alles gegeben, liege auf dem Rücken und ringe nach Atem. „Probier’s nochmal!“, sage ich mir und rapple mich auf. Ich stolpre, springe gar nicht erst ab, liege nun wieder am Boden. „Was mache ich falsch?“ „Was muss ich ändern, dass ich fliege?“ „Wie erreiche ich mein Ziel?“ Fragen, die mich ständig begleiten und mich nachts nicht schlafen lassen. „Wieso komme ich nicht oben an?“ Ich gebe alles von mir: mein Vertrauen, Lachen, Tränen, schlechte Witze, Zuneigung und mehr als nur ein offenes Ohr. Nur, um am Ende atemlos dazuliegen, mich fragend, wie ich es überhaupt schaffen soll wieder aufzustehen. „Was kann ich besser machen?“ Ich renne immer wieder los, springe, fliege und falle tief. Ich weiß nicht weiter, nur, dass ich alles andere als perfekt bin. Ich kann nicht mehr geben als ich habe, aber wohin soll das führen, wenn das letztens Endes doch nie genug ist? Was ist das für eine Welt, in der man immer nur nach mehr strebt, sich nie zufrieden gibt. Wann lehnt man sich zurück und sagt: „Das war lecker, ich bin satt.“ Gesättigt ist heutzutage doch schon lange niemand mehr.
Immer weiter, höher, schneller. Wir es jemals reichen? Wird man jemals (jemandem) genug sein?

von Tassia Weimann

Sie setzt ein Häkchen in den Kreis. Wieder etwas geschafft. Ein Punkt weniger auf der To Do-Liste, die ihr Leben bestimmt. In ihrem Kopf kreisen die Gedanken: „Lieber Sprachreise oder freiwilliges Praktikum? Lieber nach Thailand oder Australien für ein paar Monate? Ob es gut ankommen würde, wenn ich nebenbei noch ein bisschen ehrenamtlich arbeite?“ Sie ist gefangen in der Endlosschleife der Optimierung. Immer höher, schneller, weiter. Immer besser, immer weiser. Irgendwo zwischen Lebenslauf und Lifetracking ist sie auf der Strecke geblieben. Falsch abgebogen und hat sich selbst dabei verloren. Es zählt nicht mehr, was sie will. Was zählt ist die Karriere, das, was der Arbeitgeber verlangt. Das, was einen individuell machen soll. Und dabei tappt sie in die immer gleichen Fußstapfen im roten Outbacksand, wie tausende vor ihr. Die Ellenbogen sind auf Brusthöhe postiert – falls sie doch jemand überholen will. Die Position ist anstrengend, aber wer reich sein will, muss leiden. Als sie erschöpft zusammenbricht, ärgert sie sich. Über sich selbst, über die Welt. Sie wirbelt den Sand auf, als sie mit der Faust auf den Boden schlägt. Minuten verharrt sie bis sie ihren Blick nach oben richtet. Der Himmel ist blau. Die Vögel kreisen. Sie atmet nach gefühlten Jahren endlich einmal wieder tief ein und entspannt sich. Als Kamele ihren Weg kreuzen, denkt sie sich noch: „Die gehören hier doch gar nicht hin!“, doch es scheint egal zu sein. Die Tiere ziehen in unbekanntes Gebiet, keine Fußstapfen, aber immer noch der gleiche Kontinent. Sie drängt sich eng an die Tiere und lässt sich endlich treiben.
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