![]() | |
Foto: Lizenzfreies Bild von Pixabay |
von Lars Hybsz
Dunnerak
steht als erstes am Tor. Es sind noch ein paar Minuten bis zum Start, aber der
Stallbursche nestelt aufgeregt am Geschirr herum. Der Jockey spuckt auf den
Sandstreifen neben der Rennbahn. Eine Frau im Publikum verzieht angeekelt das
Gesicht und wendet sich ab. Mit ihrer riesigen Sonnenbrille sieht sie aus wie
ein Insekt. Die Damen tragen Hut, möglichst teuer und möglichst auffällig, denn
das Motto hier lautet: sehen und gesehen werden.
Nach und nach kommen auch die anderen Pferde zum Start. Sie heißen Diamant, Gandia, Bukephalos; ihre Besitzer sind Banken, Versicherungen, arabische Scheiche und deutsche Bundesliga-Profis. Die Zuschauer lockt nicht nur der Glamour, sondern auch der Rausch der Geschwindigkeit und die Schönheit der Tiere. Verletzt sich ein Pferd oder bricht sich gar das Bein, fangen die Mädchen auf der Tribüne an zu weinen, weil sie ganz genau wissen, worauf das hinauslaufen kann.
Eine hübsche Dame ist mit ihrem Neffen da. Sie hat sich extra einen Hut gekauft, aber einen günstigen. Sie setzt einen kleinen Schein auf einen Rappen aus Bremen und nippt an ihrem Sekt. Ob sie gewinnt ist ihr egal, es geht um das Erlebnis, das schöne Wetter und darum, sich über hochnäsige Leute lustig zu machen. Das Tor geht auf und der Rappe gewinnt.
Nach und nach kommen auch die anderen Pferde zum Start. Sie heißen Diamant, Gandia, Bukephalos; ihre Besitzer sind Banken, Versicherungen, arabische Scheiche und deutsche Bundesliga-Profis. Die Zuschauer lockt nicht nur der Glamour, sondern auch der Rausch der Geschwindigkeit und die Schönheit der Tiere. Verletzt sich ein Pferd oder bricht sich gar das Bein, fangen die Mädchen auf der Tribüne an zu weinen, weil sie ganz genau wissen, worauf das hinauslaufen kann.
Eine hübsche Dame ist mit ihrem Neffen da. Sie hat sich extra einen Hut gekauft, aber einen günstigen. Sie setzt einen kleinen Schein auf einen Rappen aus Bremen und nippt an ihrem Sekt. Ob sie gewinnt ist ihr egal, es geht um das Erlebnis, das schöne Wetter und darum, sich über hochnäsige Leute lustig zu machen. Das Tor geht auf und der Rappe gewinnt.
von Yasemin Rittgerott
Draußen
rieselt der erste Schnee des Winters leise auf die Erde herab und schluckt alle
Geräusche. Es ist friedlich und still.
Drinnen ist
die Situation angespannt. Es knallt. Ihre Handfläche bleibt flach vor ihm auf
dem Tisch liegen, der vom harten Aufprall noch leicht vibriert. Das ist der
Anfang vom Ende. Karl kann es in ihren Augen sehen. Der Startschuss für den
Lauf ins Verderben.
"Du
willst mir noch doch nicht ernsthaft erzählen, dass du noch glücklich bist in
dieser Beziehung?!" Ungläubig sieht sie zu ihm runter. Doch, er war
glücklich gewesen mit ihr. Bis vor wenigen Augenblicken hatte er geglaubt, sie
sei es auch. Sie hatte es gut vor ihm verborgen, ihre Unzufriedenheit. Doch
dann wollte er nicht mit ihr ausgehen – wieder einmal. Dabei war es draußen
kalt und glatt. Es wäre doch einfach sicherer im Haus zu bleiben. Sie sah das
anders. Sie sähe vieles anders, sagt sie. "Warum hast du nicht eher etwas
gesagt?", fragt er. "Ich dachte, du müsstest es doch von selbst
merken..." Das hat er aber nicht. Und nun hat sie beschlossen, dass es
Zeit ist für ein Rennen, sie hat sich an die Startlinie gestellt, die Pistole
abgefeuert und ist losgelaufen. Ihn lässt sie zurück.
von Tassia Weimann
Er sitzt vor
dieser Leinwand und starrt auf die vier Quadrate, die parallel ihre Geschichte
in flackernden Bildern erzählen:
Links, oben:
Ein Hund, der abgeleint wird. Klick und Sprint.
Rechts,
oben: Ein Junge mit einem Geschenk auf dem Schoß. Die Kamera wackelt, wird neu
justiert. Der Junge wird kurz unscharf im Bild, dann scharf. Er blickt von der
Kamera zum Paket. Und reißt es auf.
Unten,
links: Ein Rabe auf einem Ast. Er zuckt mit dem Kopf nach links, hält inne und
flattert davon.
Unten,
rechts: Ein Mädchen in Großaufnahme. Fokus auf ihrem Gesicht. Plötzlich ein
Stimmungswechsel. Tränen, die ihr von der Nasenspitze tropfen.
Er wendet
den Blick von der Leinwand ab. Zu viel von allem: Aufbruch, Spannung, Impulse
für einen Start nach Vorn.
Er schaut
auf seine abgekauten Fingernägel. Das wollte er sich abgewöhnen. So wie er
Neues ausprobieren wollte, raus gehen, nicht so viel sitzen und anderen beim
Leben zuschauen. Er rutscht von einer Pobacke zur anderen. Morgen ist auch noch
ein Tag. Das Polster ist gemütlich – nicht zu durchgesessen, nicht zu hart. Er
sinkt tiefer hinein und wartet auf den Impuls in ihm selbst, der nicht kommen
will.
von Katrin Dirscherl
Sie legte
die alte Schallplatte auf, die sie seit Jahren besaß. Mittlerweile hatten sich
ein paar Kratzer darauf gefunden. Der Ton klang abgenutzt, doch sie würde sie
nicht wegschmeißen. Draußen schien die Januarsonne und sie blickte dem
Eiffelturm entgegen. Wieder war ein Jahr vergangen, das Gefühl nicht anders
geworden. Noch immer dachte sie an den Tanz zurück, an ihre Hand in der
seinen. Sie schloss die Augen, als die
Sonnenstrahlen den Schnee auf dem Balkon zum Glitzern brachten und sie
blendeten. Das neue Jahr hatte sie gefeiert, seinen Geburtstag. Viele würden
noch folgen, viele Erinnerungen, die sie für ihn sammelte.
Die
Schallplatte verstummte und die junge Frau sah sich um.
Die
Einsamkeit fühlte sich besser an, irgendwie leichter. Sie stand auf und ging
mit nackten Füßen auf den Balkon. Lehnte sich über das Geländer und reckte ihr
Gesicht der Wärme entgegen. Die Friedenskonferenzen hatten sich monatelang über
das letzte Jahr erstreckt und jetzt atmete sie tief durch.
Alles wird
besser werden, alles wird anders werden.
So wie jedes
Jahr.
von Julius Lütgemeier
Er hatte
heute früher Schluss.
Er machte
heute Schluss.
Seine Mutter
machte ihm gerade Essen.
Seine Mutter
hatte ihm nie Essen gemacht.
Er saß
gerade in seinem Zimmer.
Er ging
gerade die Treppe hinauf.
Er griff
sich den Controller.
Er griff in
seine Tasche.
Ein wenig
Spaß, dafür braucht man kein Geld.
Ein weißes
Pulver, dafür brauchte er Geld.
Er war schon
im Menü.
Er war schon
in der Küche.
Er wartete
auf seine Mutter.
Er stand
hinter der Mutter.
Er drückte
Start.
Schuss
von Elina Göhrmann
„Papa, was
möchte die Bank mir mit diesem Brief sagen?“ – „Mama, was beinhaltet meine
Krankenversicherung nochmal?“ – „Danke, dass ihr für mich noch die Miete
übernehmt.“
Wichtige
Unterlagen gehen noch an die Heimatadresse, bei großen Entscheidungen wird noch
zum Telefon gegriffen und bevor Fachchinesisch nachgeschlagen wird, werden die
Eltern gefragt. Noch stehen meine Füße bildlich gesehen unter ihrem Tisch.
Bis zur
ersten Arbeit, zum ersten Geld, zur ersten selbstbezahlten Wohnung. Dazu muss
ich inzwischen „bis bald“ sagen. Nur noch wenige Monate, bis ich ins neue Leben
starte und an meinem eigenen Tisch sitze.
Wenn ich
meine Listen schreibe, was ich alles noch meine Eltern fragen muss, welche
Ausnahmen ich beim ersten Gehalt berücksichtigen muss, wo meine Bewerbungen
hingehen könnten, dann mischt sich zu dem freudigen Gefühl auch ein mulmiges.
Man will schließlich alles auf einmal und sofort richtig hinbekommen. Und doch
weiß man nicht, ob man das schafft. Wenn mich dieses Gefühl in meiner Wohnung
überkommt, dann schau ich auf das Familienfoto an der Wand. Und das beruhigt
mich. Ja, es ist der Start in mein eigenes Leben. Aber meine Eltern werden
immer da sein. Weiterhin Fragen darüber beantworten, wie ich eine
Steuererklärung schreibe oder was ich bei einem Autokauf beachten muss. Wenn
der Startschuss erklingt, wartet meine Familie an der Strecke auf mich. Wahrscheinlich
bin ich nur deswegen bereit loszulaufen. Denn mit ihnen kann mir gar nichts
passieren.
von Hannah Springer
Ich sitze
vor einem riesigen Berg. Einem Berg voller aufzuräumender Ecken meines Zimmers,
noch zu sortierender Unterlagen, Vorlesungen, die noch zusammengefasst werden
müssen und Kontakte, die ich auch schon länger mal wieder pflegen wollte. Ein
schöner Berg ist es. Wenn das Licht günstig fällt, wirft er einen Schatten an
die Wand der aussieht wie ein Haus. Farblich sortiert ist er auch und um ihn
herum ist es ganz ordentlich. Das habe ich alles schon erledigt. Schließlich
sitze ich hier schon etwas länger.
Gestern habe
ich rausgefunden wie man das nennt, mein Rumsitzen vor dem riesen Berg.
Prokrastination: Das Aufschieben von Dingen, die gemacht werden müssen und
stattdessen das Erledigen von Unwichtigem.
Ich sehe
ein, dass die farbliche Sortierung nicht die größte Relevanz hatte, aber ich
konnte das Chaos in Form des Berges vor mir einfach nicht mehr ertragen.
Natürlich
weiß ich, dass trotz Sortierung der Berg keine Dauerlösung sein kann.
Allerdings
war der einzige Tipp, den Google als Lösung gegen große Riesenberge ausgespuckt
hat, einfach anzufangen. Ein ziemlich irrwitziger Tipp finde ich. Einfach
anfangen, wie stellt sich Google das denn bitte vor? Soll ich etwa einfach so
loslegen? So einfach ist das Ganze ja dann doch nicht.
von Lara Konrad
Ich bin
gerannt und gerannt und gerannt, aber die Ziellinie ist noch lange nicht in
Sicht.
Ich lege
Pausen ein, und zwischendurch gehe ich.
Es gab eine
Zeit, in der konnte ich nicht mehr. Aber nach langem Sitzen bin ich doch wieder
aufgestanden, und weitergegangen. Langsam erst, dann immer schneller. Und ich
renne wieder, und der Wind fegt mir um die Ohren, und die Zeit fliegt.
Seit 19
Jahren bin ich nun schon auf dem Weg, und mir erscheint das so lang, dabei ist
es nur ein Bruchteil meiner Strecke. Manchmal höre ich neue Startschüsse - am
31. Dezember; nach der Schule; wenn ich aufhöre zu planen und anfange, zu
machen. Und Dinge enden, und ich überschreite Linien, aber am Ziel bin ich noch
lange nicht - denn ich weiß nicht, wo es liegt, und wann ich es erreiche, und
ob ich es erreiche. Also renne und renne und renne ich weiter.
Keine Kommentare
Kommentar veröffentlichen