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von Elina Göhrmann
„Wenn ich
keine Freunde hätte, keine Familie, kein Kind, keine Liebe – dann wäre ich
richtig frei“, sinnierte die Freiheit und schaute hinaus aufs Meer. „Dann
könnte ich mich einfach in das Boot dort vorne setzen und schauen, wo ich ankomme.“
Die Bindung
schaute ebenfalls aufs Meer und schüttelte langsam und bedächtig den Kopf.
„Liebe Freiheit, ich denke, du weißt selbst noch nicht, wer du bist.“ –
„Natürlich weiß ich das!“ Empört riss die Freiheit die Augen auf und schaute
die Bindung entrüstet an. „Du kommst doch nur nicht mit der Wahrheit klar, dass
man ohne dich freier in seiner Entscheidung ist.“ – „Ist man das?“, fragte die
Bindung und schwieg. Sie saßen beide lange da, versunken in die eigenen
Gedanken, bis die Freiheit schließlich meinte: „Wieso sollte man nicht?“ Die
Bindung nahm einen Haufen kleiner Steine in die Hand und betrachtete sie,
während sie sprach. „Wenn du keine Bindungen hast, ein kleiner Stein alleine in
einer Hand bist, was hast du für eine andere Wahl, als zu gehen? Du bist
alleine und niemand will alleine sein. Also gehst du hinaus in die Welt und
suchst. Aber existierst du inmitten von anderen Steinen, die du liebst und die
dir wichtig sind, dann ist es deine freie Entscheidung, ob du gehst oder nicht.
Und es ist deine freie Entscheidung, ob du zurückkommst. Macht nicht erst die
Möglichkeit der Entscheidung deine Handlung wirklich frei?“ Die Freiheit
öffnete den Mund, schloss ihn wieder und erwiderte nach einer Weile: „Darüber,
liebe Bindung, muss ich nachdenken.“
von Eva Mainusch
Über den riesigen, mit Köstlichkeiten bedeckten Tisch hinweg
beobachte ich die zwei Stars des Abends. Sie bemerken es nicht, aber zwischen
Weingläsern und Witzen schauen wir alle immer wieder zu ihnen. Seit Stunden
schon. Die Blicke der gesamten Familie sind auf sie gerichtet und beobachten
und schwärmen. Aber keiner von uns mehr oder weniger Erwachsenen hat Zutritt zu
ihrer Welt. Die schon schwachen Hände meiner Oma halten ihren neugeborenen
Urenkel wie den wertvollsten Schatz, ein Geschenk, direkt aus den Händen ihres
Gottes in unsere fröhliche Runde gesetzt. Die großen runden Augen des Babys
blicken aufmerksam und unschuldig in das faltige Gesicht über ihm. Bereit,
alles aufzusaugen und diese jungen Augen mit Leben zu füllen. Er umklammert mit
seinen winzigen Fingern den Daumen meiner Oma und schläft zu der stummen
Gutenachtgeschichte ihrer wunderschön runzeligen Augen ein. In ihnen liegt so
vieles, was er noch entdecken wird. Und auch so vieles, was sie ihm nie zu
erleben wünscht. Als ich bemerke, dass auch mein Bruder das ungleiche Paar
beobachtet, grinse ich ihm zu, hebe mein Glas und wir stoßen an.
von Julius Lütgemeier
Gegensätze
ziehen sich ab.
So heißt es
für das Essen des Schwächeren in der Pause meist abdrücken statt verdrücken.
Beziehungsweise
für ihn dann verdrücken oder abdrücken.
Abdrücke
hinterlässt meist sowieso nur, wer zuschlägt. Ist ne historische Sache, kann
man gar nichts machen.
1,2,3
Zuschlag: 8 Millionen für einen rausgeschnittenen Banksy, während das Kind vor
der Halle Leute nach Kleingeld fragt. Kann doch arbeiten gehen. Faules Pack
sieht man überall und jeder weiß, wenn man falsches Obst zusammenlagert, ja
dann wird’s halt faul. Fliegen. Miami statt Marzan liegt uns auch einfach. Wir
wollen nur Miles&more eigentlich nicht. Ich würde ja sagen „Reißt euch los“
aber außerhalb von sichren Häfen werfen eben manche Wellen auch sonst große
Boote um, erst Recht ohne Kurs. Zynisch, ich weiß, aber das steigende Wasser
geht uns doch alle an, wenn zu viele hineinfallen. Ich hab freizeittechnisch
viel mit Pfand zu tun, ich leiste meinen Beitrag. Alt, arm und Umwelt: Drei
Fliegen mit einem Schluck. Ich schau kurz auf das Mehrweg-Zeichen, drück die
Dose zusammen und geb sie dem kleinen Jungen zum Spielen.
von Hannah Springer
Manchmal ist
es schwer einen Unterschied zu beschreiben: Nicht den Unterschied zwischen
Schoko- und Vanilleeis. Nicht dein Glück nach der letzten Notenvergabe im
Gegensatz zu meinem unglücklichen Gesicht. Keinen Unterschied, den man sieht,
einen den man spürt.
Es ist das
Gefühl, wenn ich neben dir sitze. Du erzählst vom letzten Wochenende, den
Partys auf denen du warst und von denen ich nichts wusste. Dein Handy blinkt
dabei dauerhaft auf. Es regnet Herzen für die "schönste Prinzessin der
Stadt". Die Finger der Anderen haben nur die ganz besonderen Buchstaben
für dich ausgesucht. Ganz begeistert versuchst du mir, mit Händen und Füßen zu
verdeutlichen wie lustig es war, mit dem einen Typen aus dem Fußballverein auf
dem Tisch zu tanzen. Wenn du jemand anderes wärst, sähe jede Bewegung dabei albern
aus. Aber du bist nicht ich.
Du spürst
sie nicht, ich kann sie nicht spüren. Die Blicke der Anderen sehe ich nur. Sie
liegen immer auf dir. Bei jedem Schritt, bei allem was du tust.
Ich stehe
daneben. Zur Zierde kann man nicht wirklich sagen. Die brauchst du nicht, weil
"cool" das ist, mit dem die Anderen dich schon geschmückt haben.
von Katrin Dirscherl
Was echt ist
und was nicht, das lernen wir mit der Zeit. Von Kindheit an verträumt.
Geschichten von Drachen, Feen, Zauberern. Heute alles fremd, der Glaube an das
Happy End. Auf dem Weg - mit all den
Jahren - irgendwann die Fantasie verloren.
Erwachsen
geworden, angekommen.
Du gehst
spazieren, die Sonne scheint. Draußen ist viel los, weil die Kälte dem Frühjahr
weicht.
Irgendwo
schnappst du ein paar Wortfetzen auf, bastelst daraus einen ganzen Dialog.
Denkst über die Zukunft nach, fantasierst, was du alles zu tun vermagst.
Manchmal
schreckst du auch aus Träumen hoch, die du für eine Sekunde glaubst.
Waren so
real, so echt, als hätte man dir den Verstand geraubt.
Auf dem
alten Schulzeugnis steht: „Guter Schüler, aber schaut zu oft aus dem Fenster.“
Tagtraum bis
in die Realität.
Noch heute
schaust du aus dem Fenster, wenn du dich in die Arbeit quälst.
Tag ein, Tag
aus, aber Kind, du lebst eigentlich nicht. Du spinnst dir nur dein Leben.
Das, was du
später planst. Nicht heute, nicht morgen. Erst nächstes Jahr.
Aber da ganz
sicher.
Ganz sicher,
nicht wahr?
von Yannik Stuhr
Der rote
Faden windet sich um meinen Daumen und deinen kleinen Finger; Helter Skelter.
Wir werden
miteinander älter, wir werden miteinander kälter. Doch ihm zu folgen, fiel uns
noch nie wirklich leicht. Wir sind
verschieden und doch gleich. Dasselbe Spektrum, doch unterschiedliche Enden.
Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander, senden wir doch auf
verschiedenen Frequenzen. Sind untrennbar zu einer Einheit verbunden. Bedingen
uns; Komplementär.
Ich
wünschte, es wären mehr als Sekunden, in denen die Unterschiedenen untrennbar
scheinen. Die Hügelspitze als Symbol der Einheitlichkeit. Liegt die eine Seite
in der Sonne, liegt die andere im Schatten. Keine der Seiten hat dadurch einen
geringeren Wert, ist ihr Schicksal doch arbiträr austauschbar. Vereint man das
Gegensätzliche, findet man Einheit. Die Polarität zur Polarität. Es ist wie bei
uns. Wenn wir denken, wir seien zu unterschiedlich, finden wir in unserer
Unterschiedlichkeit zueinander. Lassen wir uns sein wie wir sind, lassen wir
uns wirklich sein. Gegensätze ziehen sich an, sagt man. Sie haben schließlich
auch keinen Grund es nicht zu tun.
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