Montag, 11. März 2019

Printseite Februar 2019 / Gegensätze

Foto: Lizenzfreies Foto von pixabay.com


von Elina Göhrmann

„Wenn ich keine Freunde hätte, keine Familie, kein Kind, keine Liebe – dann wäre ich richtig frei“, sinnierte die Freiheit und schaute hinaus aufs Meer. „Dann könnte ich mich einfach in das Boot dort vorne setzen und schauen, wo ich ankomme.“
Die Bindung schaute ebenfalls aufs Meer und schüttelte langsam und bedächtig den Kopf. „Liebe Freiheit, ich denke, du weißt selbst noch nicht, wer du bist.“ – „Natürlich weiß ich das!“ Empört riss die Freiheit die Augen auf und schaute die Bindung entrüstet an. „Du kommst doch nur nicht mit der Wahrheit klar, dass man ohne dich freier in seiner Entscheidung ist.“ – „Ist man das?“, fragte die Bindung und schwieg. Sie saßen beide lange da, versunken in die eigenen Gedanken, bis die Freiheit schließlich meinte: „Wieso sollte man nicht?“ Die Bindung nahm einen Haufen kleiner Steine in die Hand und betrachtete sie, während sie sprach. „Wenn du keine Bindungen hast, ein kleiner Stein alleine in einer Hand bist, was hast du für eine andere Wahl, als zu gehen? Du bist alleine und niemand will alleine sein. Also gehst du hinaus in die Welt und suchst. Aber existierst du inmitten von anderen Steinen, die du liebst und die dir wichtig sind, dann ist es deine freie Entscheidung, ob du gehst oder nicht. Und es ist deine freie Entscheidung, ob du zurückkommst. Macht nicht erst die Möglichkeit der Entscheidung deine Handlung wirklich frei?“ Die Freiheit öffnete den Mund, schloss ihn wieder und erwiderte nach einer Weile: „Darüber, liebe Bindung, muss ich nachdenken.“

von Eva Mainusch

Über den riesigen, mit Köstlichkeiten bedeckten Tisch hinweg beobachte ich die zwei Stars des Abends. Sie bemerken es nicht, aber zwischen Weingläsern und Witzen schauen wir alle immer wieder zu ihnen. Seit Stunden schon. Die Blicke der gesamten Familie sind auf sie gerichtet und beobachten und schwärmen. Aber keiner von uns mehr oder weniger Erwachsenen hat Zutritt zu ihrer Welt. Die schon schwachen Hände meiner Oma halten ihren neugeborenen Urenkel wie den wertvollsten Schatz, ein Geschenk, direkt aus den Händen ihres Gottes in unsere fröhliche Runde gesetzt. Die großen runden Augen des Babys blicken aufmerksam und unschuldig in das faltige Gesicht über ihm. Bereit, alles aufzusaugen und diese jungen Augen mit Leben zu füllen. Er umklammert mit seinen winzigen Fingern den Daumen meiner Oma und schläft zu der stummen Gutenachtgeschichte ihrer wunderschön runzeligen Augen ein. In ihnen liegt so vieles, was er noch entdecken wird. Und auch so vieles, was sie ihm nie zu erleben wünscht. Als ich bemerke, dass auch mein Bruder das ungleiche Paar beobachtet, grinse ich ihm zu, hebe mein Glas und wir stoßen an.

von Julius Lütgemeier

Gegensätze ziehen sich ab.
So heißt es für das Essen des Schwächeren in der Pause meist abdrücken statt verdrücken.
Beziehungsweise für ihn dann verdrücken oder abdrücken.
Abdrücke hinterlässt meist sowieso nur, wer zuschlägt. Ist ne historische Sache, kann man gar nichts machen. 
1,2,3 Zuschlag: 8 Millionen für einen rausgeschnittenen Banksy, während das Kind vor der Halle Leute nach Kleingeld fragt. Kann doch arbeiten gehen. Faules Pack sieht man überall und jeder weiß, wenn man falsches Obst zusammenlagert, ja dann wird’s halt faul. Fliegen. Miami statt Marzan liegt uns auch einfach. Wir wollen nur Miles&more eigentlich nicht. Ich würde ja sagen „Reißt euch los“ aber außerhalb von sichren Häfen werfen eben manche Wellen auch sonst große Boote um, erst Recht ohne Kurs. Zynisch, ich weiß, aber das steigende Wasser geht uns doch alle an, wenn zu viele hineinfallen. Ich hab freizeittechnisch viel mit Pfand zu tun, ich leiste meinen Beitrag. Alt, arm und Umwelt: Drei Fliegen mit einem Schluck. Ich schau kurz auf das Mehrweg-Zeichen, drück die Dose zusammen und geb sie dem kleinen Jungen zum Spielen.

von Hannah Springer

Manchmal ist es schwer einen Unterschied zu beschreiben: Nicht den Unterschied zwischen Schoko- und Vanilleeis. Nicht dein Glück nach der letzten Notenvergabe im Gegensatz zu meinem unglücklichen Gesicht. Keinen Unterschied, den man sieht, einen den man spürt.
Es ist das Gefühl, wenn ich neben dir sitze. Du erzählst vom letzten Wochenende, den Partys auf denen du warst und von denen ich nichts wusste. Dein Handy blinkt dabei dauerhaft auf. Es regnet Herzen für die "schönste Prinzessin der Stadt". Die Finger der Anderen haben nur die ganz besonderen Buchstaben für dich ausgesucht. Ganz begeistert versuchst du mir, mit Händen und Füßen zu verdeutlichen wie lustig es war, mit dem einen Typen aus dem Fußballverein auf dem Tisch zu tanzen. Wenn du jemand anderes wärst, sähe jede Bewegung dabei albern aus. Aber du bist nicht ich.
Du spürst sie nicht, ich kann sie nicht spüren. Die Blicke der Anderen sehe ich nur. Sie liegen immer auf dir. Bei jedem Schritt, bei allem was du tust.
Ich stehe daneben. Zur Zierde kann man nicht wirklich sagen. Die brauchst du nicht, weil "cool" das ist, mit dem die Anderen dich schon geschmückt haben.

von Katrin Dirscherl

Was echt ist und was nicht, das lernen wir mit der Zeit. Von Kindheit an verträumt. Geschichten von Drachen, Feen, Zauberern. Heute alles fremd, der Glaube an das Happy End.  Auf dem Weg - mit all den Jahren - irgendwann die Fantasie verloren.
Erwachsen geworden, angekommen.
Du gehst spazieren, die Sonne scheint. Draußen ist viel los, weil die Kälte dem Frühjahr weicht.
Irgendwo schnappst du ein paar Wortfetzen auf, bastelst daraus einen ganzen Dialog. Denkst über die Zukunft nach, fantasierst, was du alles zu tun vermagst.
Manchmal schreckst du auch aus Träumen hoch, die du für eine Sekunde glaubst.
Waren so real, so echt, als hätte man dir den Verstand geraubt.
Auf dem alten Schulzeugnis steht: „Guter Schüler, aber schaut zu oft aus dem Fenster.“
Tagtraum bis in die Realität.
Noch heute schaust du aus dem Fenster, wenn du dich in die Arbeit quälst.
Tag ein, Tag aus, aber Kind, du lebst eigentlich nicht. Du spinnst dir nur dein Leben.
Das, was du später planst. Nicht heute, nicht morgen. Erst nächstes Jahr.
Aber da ganz sicher.
Ganz sicher, nicht wahr?

von Yannik Stuhr

Der rote Faden windet sich um meinen Daumen und deinen kleinen Finger; Helter Skelter.
Wir werden miteinander älter, wir werden miteinander kälter. Doch ihm zu folgen, fiel uns noch nie wirklich leicht.  Wir sind verschieden und doch gleich. Dasselbe Spektrum, doch unterschiedliche Enden. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander, senden wir doch auf verschiedenen Frequenzen. Sind untrennbar zu einer Einheit verbunden. Bedingen uns; Komplementär.
Ich wünschte, es wären mehr als Sekunden, in denen die Unterschiedenen untrennbar scheinen. Die Hügelspitze als Symbol der Einheitlichkeit. Liegt die eine Seite in der Sonne, liegt die andere im Schatten. Keine der Seiten hat dadurch einen geringeren Wert, ist ihr Schicksal doch arbiträr austauschbar. Vereint man das Gegensätzliche, findet man Einheit. Die Polarität zur Polarität. Es ist wie bei uns. Wenn wir denken, wir seien zu unterschiedlich, finden wir in unserer Unterschiedlichkeit zueinander. Lassen wir uns sein wie wir sind, lassen wir uns wirklich sein. Gegensätze ziehen sich an, sagt man. Sie haben schließlich auch keinen Grund es nicht zu tun.

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