Mittwoch, 20. Juli 2016

Printseite Juli 2016 / Erster Tag


von Elina Göhrmann 

…mit Führerschein 
Vorsichtig rollte ich mit meinem Roller aus unserer vollgestopften Garage. „Bloß nicht gegen die zahlreichen Geräte stoßen, bitte, bitte bloß nicht irgendwo gegen stoßen.“ Ich nahm diesen inneren Monolog nur nebenbei wahr, während ich die Farbe des Lackes, den gemütlichen Sitz und vor allem die Vorfreude genoss – endlich konnte ich alleine auf meiner eigenen 125ccm-Maschine zur Schule fahren. Nie wieder auf dem Fahrrad gegen den Wind ankämpfen! Nie wieder im Bus sitzen! Mein Helm und die riesige Motorradjacke, die mein Kreuz mindestens doppelt so breitmachte, hatten schon seit Tagen ihren angestammten Platz in meinem Zimmer gefunden und waren immer wieder hervorgekramt worden. Mit wenigen Worten: Ich hatte endlich meinen ersten Führerschein! Es interessierte in diesem Moment nicht, dass auch mein Fahrrad irgendwann einmal so behütet worden war, dass es bloß keinen Kratzer bekommen durfte. Und auch nicht, dass eben jenes inzwischen voll von diesen kleinen Makeln war. Was zählte war einfach nur dieser Moment, in dem jede Kleinigkeit, die mit dieser elfenbeinfarbenen Maschine zu tun hatte, einfach famos war.

von Jonas Gadomska 

…im neuen Verein 
Ich drücke die Klinke herunter, lehne mich gegen die große rote Stahltür und öffne sie angespannt. Vor mir befindet sich ein schmaler langer Raum mit langen Bänken, die links und rechts an den Wänden montiert wurden. Auf ihnen sitzen mindestens zwanzig andere Jungen, wobei ich die Hälfte heute zum ersten Mal sehe. Mein Blick wandert die Bänke entlang und stoppt am Ende des Raums. Ich erkenne die nur Umrisse der Person, die vor dem Fenster steht. Sie scheint größer als ich zu sein und kommt auf mich zu. „Hallo Jonas, da bist du ja!“, sagt sie mit einer heiteren Stimme. Ich kneife meine Augen zusammen und erkenne die Gesichtszüge und die Statur eines älteren Mannes. Er streckt mir seine rechte Hand entgegen, als er mich erreicht und sagt zu den anderen: „Leute, ich glaube wir werden diese Saison durch unseren neuen Mitspieler und Vereinskameraden noch besser sein!“ Ich lächele und meine Anspannung fällt wie ein Stein von meinem aufgeregten Herzen.

von Tassia Weimann 

Erster Schultag... auf der anderen Seite
Ich stehe im Klassenzimmer und lasse meinen Blick über die leeren Plätze schweifen. Es ist ruhig. Alles liegt gut vorbereitet auf dem Lehrerpult. Ich atme aus, um meinen Herzschlag zu beruhigen. Ich rede abwechselnd mit meiner Praktikumslehrerin und mit den Regenwürmern, die sich in der Plastikbox winden. Ihre Gefährten haben in der Glasvase einen schöneren Platz und den leichteren Job erwischt, aber diese sind gut versteckt hinter dem Lehrerpult. Die Kinder kommen nach und nach in die Klasse und erzählen von ihrem Weg zur Schule oder vom letzten Tag. Während sie ihre Aufgaben vor dem Klingeln erledigen, fragen sie mich auch um Hilfe. Ich merke, wie meine Anspannung etwas abfällt, auch wenn mich meine Dozentin von der letzten Reihe aus beobachtet. Ich fühle mich als Teil der Klasse, spüre das Vertrauen der Schülerinnen und Schüler. Die Lehrerin liest im Morgenkreis noch selbst eine Geschichte vor. Thematisch passend über einen Jungen und einen Regenwurm. Leider haben wir die Geschichte nicht vorher gelesen und so gibt es laute Proteste und vor Ekel verzogene Münder, als erklärt wird, dass der Junge den Regenwurm isst – mit ganz viel Ketchup. Ich lache mit, aber hoffe inständig, dass die Kinder nun trotzdem die Regenwürmer in die Hand nehmen werden. Die Stunde läuft so, wie ich sie mir zurechtgelegt hatte. Die in stundenlanger Kleinstarbeit erstellten Materialien motivieren die Kinder. Ihre Spannung ist förmlich zu greifen, als ich die Vase mit den Regenwürmern auf den Tisch stelle. Und während die Kinder in den Stationen arbeiten, habe ich Zeit alles zu überblicken. Ich bin erleichtert und fühle mich unendlich wohl. Ich nehme mir ein paar Sekunden, um diesen Moment einzufrieren. Zu konservieren, um ihn später wieder abrufen zu können. Meine erste Schulstunde auf der anderen Seite des Klassenzimmers hätte nicht schöner laufen können.
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