Donnerstag, 29. November 2018

Printseite November 2018 / Nur in Gedanken

Foto: Lea Hoppenworth

von Yannik Stuhr

Und es trifft mich, wie der erste Tropfen Regen, von dem mir niemand glaubt, dass er existiert. Dieser Tropfen kam aus dem Nichts und war beispiellos. Es sei nur ein Regentropfen, sagen die einen und rauben ihn gefühlt seine Existenzberechtigung. Doch ich bin überzeugt, dass es ihn gab. Ich spürte ihn auf meiner Stirn aufschlagen, wie er hastig meinen Nasenrücken hinabrann und auf meinen Lippen verendete. Für kurze Zeit war er mein alleiniger Fokus.
Es sei absurd zu sagen, dass genau ich diesen Tropfen abbekomme, sagen die einen. Das Absurde zu akzeptieren, drängen die anderen. Die Realität sei endlos, plädieren die einen. Jeder hat eine eigene Realität, die anderen.
Aus einem Tropfen werden jedoch meist mehr. Es folgt ein zweiter, ein dritter. Sie tun sich zusammen und werden zu einer Welle. Diese Welle schleicht sich unbemerkt an mich heran. Sie ist geräuschlos. Namenlos. Doch hat dein Gesicht. Ehe ich meine Schuhe ausziehen kann, stehe ich knietief in ihr. Mit einem Mal ist nie mehr Ebbe. Und ich ertrinke.
Doch wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch du so einen Tropfen abbekommst? Dass diese kleine Einheit Wasser den langen Weg auf die Erde hinab macht und auf einem von uns endet? Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in diesem Moment genau dort stehe und nicht auch nur einen Schritt weiter links? Wie hoch ist die Chance, dass wir uns morgens in der Bäckerei treffen und ich nicht doch lieber noch 5 Minuten liegen bleibe? Dass du mich ebenfalls siehst und ich nicht unbemerkt auf dem Kopfsteinpflaster drei Meter neben dir aufkomme?

von Yasemin Rittgerott

Meine Erwartungen sind hoch. Wenn du vor ihnen stehst, musst du den Kopf in den Nacken legen, um so ihre Spitze sehen zu können, wie sie hoch über dir die Wolken kitzelt.
Werden sie nur leicht gegossen – ein erster Kuss, ein schüchternes Lächeln – schießen sie noch weiter empor. Hier unten stehe ich, schwindlig vom bloßen Anblick der Höhe. Die Höhe macht es schwer, die Realität zu sehen. Ich kann doch so schwer Entfernungen einschätzen...
Ein Festival, ein Road-Trip durch England, Arm in Arm. Während ich durch den aufgekommenen Nebel stolpere, den wohl nur meine Erwartungen überragen, weiß ich schon, dass wir das nicht gemeinsam erlebt haben. Ich war allein. Nur die Bilder in meinem Kopf sind so klar, so präsent, wie eine besonders schöne Erinnerung.

von Hannah Springer

Alleine sein fühlt sich seit dir so falsch an manchen Tagen denke ich, dass wir es einfach lassen sollten.
Am liebsten wäre ich immer nur mit dir zusammen funktionieren wir doch ehrlich gesagt schon länger nicht mehr.
Erst gestern habe ich noch gedacht, wie viel Glück ich mit dir habe ich irgendetwas falsch gemacht?
Auch wenn es ein bisschen kitschig klingt, aber dass ich dich habe, ist momentan so ziemlich das Beste in meinem Leben tue ich an deiner Seite schon seit längerem nicht mehr.
Bei dir bin ich endlich wieder ich fühle mich von dir so schrecklich allein gelassen.
Danke, dass es dich gibt es für uns überhaupt noch eine Chance?

von Katrin Dirscherl

Alles geplant. Detailgetreu bis ins letzte Satzzeichen. Jedes Wort dreimal überprüft, vermutlich öfter. Irgendwann wird es im Laden stehen, irgendwann gelesen werden. Meine Erwartungen überschlagen sich, sie drehen sich im Kreis. Und sie planen, sie beginnen alles auszuschlachten. Jeden Moment. Und die Geschichte geht weiter, auch wenn nur ich das weiß. Weil es in meiner Vorstellung kein Ende gibt, weil die Welt sich weiterdreht. Weil die Sonne bei meinen Figuren noch immer hinterm Horizont aufgeht, auch wenn das Buch längst geschlossen ist. Und ich lächle bei dem Gedanken, dass sie existieren. Dass man sie nicht vergessen wird.

Foto: Leonie Backhaus

von Niklas Stuhr

Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Die kleine Linie, die einem anzeigt, wo im Dokument man sich befindet, blinkt wild und urteilend vor sich hin. Es hatte doch so vielversprechend angefangen, in meinem Kopf stand das Ding schon. Der überhebliche Gedanke hat dann wohl auch dazu geführt, dass die Seite nun leer ist und ich keinen lyrischen Erguss der ersten Güteklasse fabriziert habe. Wieder vergehen zehn Minuten. Ist das zu Meta? Bis jetzt liest es sich wie Gebrabbel. Könnte man aber auch als Kunst verkaufen. Oft schon geträumt darüber, wie es wohl sein muss, wenn man nicht so prokrastinierend veranlagt wäre, wenn man es einfach mal macht, anstatt nur darüber nachzudenken es zu machen. Wer weiß, wo man dann stehen würde in seinem Leben. Was wäre wenn ist immer ein schönes Gedankenspiel, doch am Ende kann man ein Spiel auch immer verlieren.

von Jonas Gadomska

Nur meine Fußsohlen berühren das kalte Nass. Das tropfende Wasser wird langsam wärmer. Ich stecke den Duschkopf, welchen ich bis eben neben meinen Körper gehalten hatte, in seine Halterung. Routine. Erst kam wenig, wurde langsam mehr und schließlich zu einem Strahl. Zielstrebig, direkt. Nun auch direkt auf meinen Körper gerichtet, sein Ziel nicht verfehlend.
Der Wasserstrahl hüllt mich und meine Umgebung in einen feinen Dampf. Wie ein Vorhang zieht er an meinen Augen vorbei, als wolle er den Blick auf eine umgebaute Kulisse freigeben. Er wird dichter und ich schließe die Augen. Vorhang auf! Diesen Ort kenne ich. Hier scheint alles einfacher zu sein, mir fällt alles ein. In dieser Sekunde, an diesem Ort gewinne ich alle Diskussionen. Längst vergangene, zukünftige und sogar solche Debatten, welche nie existieren könnten. Warum fallen sie mir jetzt ein? Argumente, welche jeden Skeptiker überzeugen. Ich drehe den Hahn zu. Bekannte Umgebung, bekanntes Gefühl.
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