von Elina Göhrmann
Das kleine Schwarze
Noch nie zuvor hatte sie sich in der tanzenden und
drängelnden Masse so wohl gefühlt. Noch nie so zuvor so wunderschön. Es lag
eindeutig an dem Kleid, zu dem ihre Freundin sie überredet hatte. Schwarz und
eng lag der Stoff an und reichte bis zu den Knien, ließ ihre Beine lang
erscheinen und ihre Haut wie Marmor. Es störte sie nicht, wenn die Träger für
kurze Zeit herunterrutschten – für diese eine Nacht war sie nicht das stille
Mäuschen in Jeans, sondern eine junge Frau.
Der Schubser von hinten kam überraschend, über die fehlende
Entschuldigung hätte sie sich sonst nur aufgeregt, doch heute warf sie dem
großen, breitschultrigen Kerl einen kecken Blick zu und tanzte weiter. Nahm die
Arme über den Kopf und gab sich dem Bass hin, der durch ihre Adern fegte. Der
Saum strich immer wieder leicht über ihre Knie. Manchmal nahm sie die Blicke
anderer Frauen wahr und zum ersten Mal dachte sie: „Sie überprüfen, ob ich ihre
Konkurrentin sein könnte.“ Sie lächelte bei dem Gedanken daran. Es hatte wohl
nicht nur sie festgestellt, dass aus dem hässlichen Entlein ein Schwan geworden
war.
Am Ende der Nacht kribbelte immer noch ihr ganzer Körper und
das Lächeln wich auch nicht von ihren Lippen. Mit leichten, vorsichtigen
Berührungen fuhr sie über den Stoff des Kleides und hängte es dann nicht in den
Schrank, sondern nach draußen.
Dieses Kleid würde sie von nun an immer an ihre eigene
Schönheit erinnern.
von Tassia Weimann
Das kleine schwarze
Loch
Meine Vorräte an schönen Gedanken sind fast aufgebraucht,
als wäre da ein kleines Monster, das unter dem Tisch hockt und sich die Kekse
stibitzt. Natürlich auch noch die leckersten. Und so sitze ich auf dem Sofa und
versuche neben all den hässlichen Gedanken und den traurigen Filmen, die im
Fernseher vor sich hin flimmern, einen Keks aus der Schale zu angeln. Aber sie
ist leer.
Leer ist somit mein Ideenschatz, wie ich mich vor all dem
Schlechten um mich herum ablenken soll. Was tun gehen Druck? Was tun gegen
Liebeskummer? Was tun gegen all die Ungerechtigkeit und Verlustangst und das
Vermissen und… Was tut man gegen das kleine Schwarze Loch, das sich neben meinen
Herzen in mich hineinfrisst, weil es keine Kekse mehr gibt?
Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich traurige Lieder
höre, um mich einfach in dem Gefühl fallen zu lassen. Oder Grey’s Anatomy
gucke, weil das prompt all die festgesetzten Tränen frei lässt. Manchmal ist
das hinderlich, wenn man Besuch hat und unglaublich gefasst und cool wirken
möchte. Aber immer öfters hilft es mir, wenn ich sehe, dass alles schlimmer
sein könnte und ich mit fiktiven Figuren mitweinen kann. Ein wenig zynisch, ein
wenig vorhersehbar. Aber mit der neuen Erkenntnis ist mein schwarzes Loch kein
schier endloser See mehr, sondern nur noch eine kleine Pfütze. Und dann schalte
ich die Musik von Caspers „Kontrolle/Schlaf“ auf Gisbert zu Knyphausens
„Spieglein, Spieglein“ und backe neue Keks, während er singt: „Denkst du
wirklich, du wärst so interessant, wenn du dich suhlst in deinem Schmerz? Bla,
bla, bla... Ist es wirklich so toll, hilflos zu sein? Du bist so groß und
machst dich selbst so seltsam klein. Du bist immer so fixiert auf das, was noch
fehlt. Und jetzt schau nicht so gequält - das sieht scheiße aus…“
von Yasemin Rittgerott
Das kleine schwarze
Brett
Es ist schon spät und so still im Haus, Max scheint sich auch
endlich ins Bett begeben zu haben. Nur sie sitzt noch hier unten mit ihrem Glas
Wein. Es ist jetzt 7 Jahre her, dass Frank gestorben ist. Sie nimmt einen großen
Schluck und leert dann den Rest der Flasche in ihr Glas. Es ist einer dieser
Abende, an denen sie in Erinnerungen schwelgt, an ihre Ehe, ihr Leben als ganze
Familie und auch an ihre irgendwie neue kleine Familie nur mit Max, seit Franks
Tod.
Sie versucht manchmal immer noch zu begreifen, dass sein Tod
ihr ihr Kind so nahegebracht hat. Max war schon immer ein richtiges Papakind gewesen,
er sah zu ihm auf und es gab eigentlich nichts, was Frank tat, das Max nicht
auch nachmachen wollte. Umso mehr haben sie sich damals gewundert, als Max das
Skateboard, das Frank ihm eines Tages mitbrachte, einfach in der Ecke seines
Zimmers einstauben lies. Max war damals 6 und vielleicht entsprach es einfach
noch nicht seinem Alter, dachten sie. Aber das Skateboard fand nur den Weg aus
der Ecke unter das Bett.
Doch dann kam der Unfall, der ihr Leben so völlig auf den Kopf
stellte. Max war 9, als es passierte. Einen Monat tat er nichts. Er ging zwar
in die Schule, aber den Rest der Zeit saß er nur in seinem Zimmer. Bis er eines
Samstagmorgens mit dem Skateboard in der Hand in der Küche stand und ihr verkündete,
er würde jetzt rausgehen. Den ganzen Tag sah und hörte sie nichts von ihm, bis
er gegen Abend mit aufgeschürften Knien und Händen, aber einem Lächeln im
Gesicht wieder in der Tür stand. Von diesem Tag an, kam er jeden Tag nach Hause
und berichtete, was er so beim Skaten erlebt hatte. Nie wird sie den Tag
vergessen, wie aufgeregt er nach Hause gerannt kam, als er seinen ersten Ollie
geschafft hatte. Am Anfang war es nur das Skateboarden, von dem er ihr berichtete,
doch mit der Zeit wurde sie zu seiner engsten Vertrauten, der er wirklich alles
erzählte. Aber durch ihr Interesse und ihre Unterstützung, hatte Max schnell
gemerkt, dass nicht nur er seinen Vater so sehr vermisste. Durch das
Skateboarden fühle er sich ihm so nah, wie sonst nie. Und er verstand schnell,
dass es auch seiner Mutter so ging.