Mittwoch, 1. Januar 2014

Printausgabe Januar 2014 / Das kleine schwarze ...

von Elina Göhrmann

Das kleine Schwarze
Noch nie zuvor hatte sie sich in der tanzenden und drängelnden Masse so wohl gefühlt. Noch nie so zuvor so wunderschön. Es lag eindeutig an dem Kleid, zu dem ihre Freundin sie überredet hatte. Schwarz und eng lag der Stoff an und reichte bis zu den Knien, ließ ihre Beine lang erscheinen und ihre Haut wie Marmor. Es störte sie nicht, wenn die Träger für kurze Zeit herunterrutschten – für diese eine Nacht war sie nicht das stille Mäuschen in Jeans, sondern eine junge Frau.
Der Schubser von hinten kam überraschend, über die fehlende Entschuldigung hätte sie sich sonst nur aufgeregt, doch heute warf sie dem großen, breitschultrigen Kerl einen kecken Blick zu und tanzte weiter. Nahm die Arme über den Kopf und gab sich dem Bass hin, der durch ihre Adern fegte. Der Saum strich immer wieder leicht über ihre Knie. Manchmal nahm sie die Blicke anderer Frauen wahr und zum ersten Mal dachte sie: „Sie überprüfen, ob ich ihre Konkurrentin sein könnte.“ Sie lächelte bei dem Gedanken daran. Es hatte wohl nicht nur sie festgestellt, dass aus dem hässlichen Entlein ein Schwan geworden war.
Am Ende der Nacht kribbelte immer noch ihr ganzer Körper und das Lächeln wich auch nicht von ihren Lippen. Mit leichten, vorsichtigen Berührungen fuhr sie über den Stoff des Kleides und hängte es dann nicht in den Schrank, sondern nach draußen.
Dieses Kleid würde sie von nun an immer an ihre eigene Schönheit erinnern.

von Tassia Weimann

Das kleine schwarze Loch
Meine Vorräte an schönen Gedanken sind fast aufgebraucht, als wäre da ein kleines Monster, das unter dem Tisch hockt und sich die Kekse stibitzt. Natürlich auch noch die leckersten. Und so sitze ich auf dem Sofa und versuche neben all den hässlichen Gedanken und den traurigen Filmen, die im Fernseher vor sich hin flimmern, einen Keks aus der Schale zu angeln. Aber sie ist leer.
Leer ist somit mein Ideenschatz, wie ich mich vor all dem Schlechten um mich herum ablenken soll. Was tun gehen Druck? Was tun gegen Liebeskummer? Was tun gegen all die Ungerechtigkeit und Verlustangst und das Vermissen und… Was tut man gegen das kleine Schwarze Loch, das sich neben meinen Herzen in mich hineinfrisst, weil es keine Kekse mehr gibt?
Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich traurige Lieder höre, um mich einfach in dem Gefühl fallen zu lassen. Oder Grey’s Anatomy gucke, weil das prompt all die festgesetzten Tränen frei lässt. Manchmal ist das hinderlich, wenn man Besuch hat und unglaublich gefasst und cool wirken möchte. Aber immer öfters hilft es mir, wenn ich sehe, dass alles schlimmer sein könnte und ich mit fiktiven Figuren mitweinen kann. Ein wenig zynisch, ein wenig vorhersehbar. Aber mit der neuen Erkenntnis ist mein schwarzes Loch kein schier endloser See mehr, sondern nur noch eine kleine Pfütze. Und dann schalte ich die Musik von Caspers „Kontrolle/Schlaf“ auf Gisbert zu Knyphausens „Spieglein, Spieglein“ und backe neue Keks, während er singt: „Denkst du wirklich, du wärst so interessant, wenn du dich suhlst in deinem Schmerz? Bla, bla, bla... Ist es wirklich so toll, hilflos zu sein? Du bist so groß und machst dich selbst so seltsam klein. Du bist immer so fixiert auf das, was noch fehlt. Und jetzt schau nicht so gequält - das sieht scheiße aus…“

von Yasemin Rittgerott

Das kleine schwarze Brett
Es ist schon spät und so still im Haus, Max scheint sich auch endlich ins Bett begeben zu haben. Nur sie sitzt noch hier unten mit ihrem Glas Wein. Es ist jetzt 7 Jahre her, dass Frank gestorben ist. Sie nimmt einen großen Schluck und leert dann den Rest der Flasche in ihr Glas. Es ist einer dieser Abende, an denen sie in Erinnerungen schwelgt, an ihre Ehe, ihr Leben als ganze Familie und auch an ihre irgendwie neue kleine Familie nur mit Max, seit Franks Tod.
Sie versucht manchmal immer noch zu begreifen, dass sein Tod ihr ihr Kind so nahegebracht hat. Max war schon immer ein richtiges Papakind gewesen, er sah zu ihm auf und es gab eigentlich nichts, was Frank tat, das Max nicht auch nachmachen wollte. Umso mehr haben sie sich damals gewundert, als Max das Skateboard, das Frank ihm eines Tages mitbrachte, einfach in der Ecke seines Zimmers einstauben lies. Max war damals 6 und vielleicht entsprach es einfach noch nicht seinem Alter, dachten sie. Aber das Skateboard fand nur den Weg aus der Ecke unter das Bett.
Doch dann kam der Unfall, der ihr Leben so völlig auf den Kopf stellte. Max war 9, als es passierte. Einen Monat tat er nichts. Er ging zwar in die Schule, aber den Rest der Zeit saß er nur in seinem Zimmer. Bis er eines Samstagmorgens mit dem Skateboard in der Hand in der Küche stand und ihr verkündete, er würde jetzt rausgehen. Den ganzen Tag sah und hörte sie nichts von ihm, bis er gegen Abend mit aufgeschürften Knien und Händen, aber einem Lächeln im Gesicht wieder in der Tür stand. Von diesem Tag an, kam er jeden Tag nach Hause und berichtete, was er so beim Skaten erlebt hatte. Nie wird sie den Tag vergessen, wie aufgeregt er nach Hause gerannt kam, als er seinen ersten Ollie geschafft hatte. Am Anfang war es nur das Skateboarden, von dem er ihr berichtete, doch mit der Zeit wurde sie zu seiner engsten Vertrauten, der er wirklich alles erzählte. Aber durch ihr Interesse und ihre Unterstützung, hatte Max schnell gemerkt, dass nicht nur er seinen Vater so sehr vermisste. Durch das Skateboarden fühle er sich ihm so nah, wie sonst nie. Und er verstand schnell, dass es auch seiner Mutter so ging.
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