![]() | |||
Foto von Merle Stephan (@merlestephan_) |
von Lars Hybsz
Menora
Wenn
es spät abends an der Haustür läutet, setzt ihr Herz aus. Die
Zwischenwand dämpft den Klang und doch dringt er zu ihr und ihrer
Familie in das Versteck vor. In der Wohnung geht jemand zum Fenster und
blickt nach unten auf die Straße. „Einen Moment, ich komme runter!“,
ertönt das vereinbarte Signal.Sie
kauert neben ihrer Mutter, die gerade die Kerzen löscht. Im schmalen
Raum steht allen die Angst ins Gesicht geschrieben. In der Dunkelheit
versucht sie, ihren Atem zu beruhigen. Sie hört, wie unten die Haustür
aufgeschlossen wird und versucht, sich zusammenzureißen. Schwere Stiefel
poltern die Treppe hoch, dann wird die Wohnungstür aufgestoßen.Als
die Männer vor ein paar Monaten schon einmal da waren, hat sich der
Offizier an den Küchentisch gesetzt und eine Zigarette geraucht. Nach
dem Verhör lud er die Tochter der Familie in die Schankwirtschaft an der
Ecke ein. Seine Laune war bestens, es war ein schöner Frühlingstag und
der Abend war ruhig und lau.Heute
ist er erkältet. Er verflucht das Wetter, die Stadt und das besetzte
Land. Wieder stellt er seine Fragen: Wann wurde die Familie zuletzt
gesehen? Wohin könnten sie verschwunden sein? Sind sie vielleicht
untergetaucht? Die Antworten werden genaustens dokumentiert und dann,
nach einer Ewigkeit, wird endlich das Tintenfass zugeschraubt.Sie
hört das Quietschen der Ledermäntel, als die Männer zur Wohnungstür
gehen und der Offizier eine „Gute Nacht“ wünscht. Ihre Mutter wartet
noch ein paar Minuten, ehe sie die Kerzen wieder entzündet. Das Bangen
in der Dunkelheit hat vorerst ein Ende.
von Yasemin Rittgerott
Die
Nacht hat viele Gesichter. Dabei sagt man, in völliger Dunkelheit sei
man blind. Kein Licht lasse einen nichts sehen; doch ich sehe alles und
spinne Gedankenfetzen zu einem schönen Garn.
.....
Vom Dach der Grundschule deines Dorfes hat man freien Blick auf die
Nacht und den Sternenhimmel hoch über unseren Köpfen. Wir plappern leise
vor uns hin, aufgedreht, weil wir etwas Verbotenes tun und ich kann
trotz der Dunkelheit das Funkeln in deinen Augen sehen.
.....
Wir stehen dicht gedrängt in der Menge. Vorsichtig schiebe ich meine
Hand in deine. Mit einem Grinsen in meine Richtung wird dein Griff
fest.
.....
Ich schaue auf meine staubigen Turnschuhe: „Ich bin so furchtbar
unsicher, wenn ich mit dir zusammen bin.” „Ich bin doch hier bei dir,
sagt das nicht alles?“
......
Neblig blau hängt der Rauch in der Bar, in der einen Hand hältst du
deine selbstgedrehte Zigarette, in der anderen hältst du meine Hand
......
Mit angezogenen Beinen sitzen wir auf dem Bordstein und schweigen,
während wir unseren Zigarettenrauch in die Nacht pusten.
.....
Die Straßenlaterne vor deinem Fenster erhellt dein Gesicht und für
einen kurzen Augenblick kann ich die Zerrissenheit in deinen Augen
sehen.
.....
Der Abspann läuft flimmernd im Hintergrund ab. In meinem Vordergrund
bist du, der mich vorsichtig zum ersten Mal küsst und dann mit großen
Augen fragend ansieht. Meine Antwort sprechen meine Lippen auf deinen.
.....
Ich möchte keinen Moment verpassen, Schlaf scheint mir so unwichtig in
diesem Moment, hier mit dir. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die
Dunkelheit und ich beobachte wie deine Brust sich gleichmäßig hebt und
senkt. Dann lege ich genau dort meinen Kopf ab und du ziehst mich noch
näher an dich und drückst mir im Halbschlaf einen Kuss auf die Stirn.
..... Der Himmel färbt sich grau und kündigt das Ende der Nacht an. Doch für uns ist es erst der Anfang.
von Elina Göhrmann
Zum
ersten Mal in deinem Leben sind die Jalousien hinuntergelassen, während
du schläfst. Keine kleinen Lücken zwischen den Lamellen, kein dämmriges
Licht durch die Vorhänge. Du kannst überhaupt nichts sehen, nicht einmal
eine Kontur. Deine Augen wollen sich einfach nicht schließen, obwohl es
keinen Unterschied macht. Sobald du sie zumachst, hörst du ein Geräusch
– öffnest du sie, weißt du nicht mehr genau, ob es nicht nur einfach
der Wind an deinen Jalousien ist. Du siehst schließlich nicht, ob sie
sich bewegen. Statt Stille hörst du deinen eigenen Herzschlag, ein
Rascheln von deiner eigenen Bettdecke, ein Brummen von draußen. Du
möchtest schlafen, doch mit offenen Augen fühlst du dich selbst in
dieser vollkommenen Dunkelheit sicherer zwischen all den vertrauten und
nun doch unvertrauten Geräuschen. TicTacTicTac, macht deine Uhr. Wie
viele Sekunden hast du schon mitgezählt? Da, ein Surren. Jetzt ist es
wieder weg. Du stehst auf und gehst zu einem Fenster, tastest nach dem
Band, ziehst die Jalousie ein kleines bisschen hoch. Die weiter entfernt
stehenden Laternen scheinen zwischen den Lamellen hindurch und du gehst
wieder zurück ins Bett. Ach, das Rascheln der Bettdecke und das Ticken
der Uhr. Das eben war sicher ein Auto auf der Straße. Es dauert nur
wenige Sekunden, dann schläfst du. Keine unbekannten Geräusche mehr.
von Katrin Dirscherl
Während
du sprichst, lachst du. Ganz fein umspielen leichte Fältchen dein
Gesicht und ich weiß, dass deine Zuhörer dir interessiert folgen. Du
konntest sie schon immer mit deinen Worten fesseln, genauso wie mich.
Vom ersten Tag an, als ich dich kaum kannte. Zu einer Zeit, die mir
jetzt in unendlich weiter Ferne schien. Denn was die anderen nicht
sehen, ist für mich umso klarer. Das fehlende Funkeln in deinen Augen,
der heisre Unterton in deiner Stimme. Gestern Abend sahst du noch ganz
anders aus, allein vor deiner Fensterfront. Mit dem Glas Rotwein in der
Hand und den leicht violetten Lippen. Das einzige Licht – der helle Mond
– in der sonst völligen Dunkelheit des Zimmers. Eine Dunkelheit, die du
jeden Tag mit dir herumträgst, auch wenn draußen die nordische Sonne
scheint. Dein Lächeln verschwindet, deine Stimme verstummt. Du machst
eine theatralische Pause und unsere Blicke treffen sich. Du weißt, dass
ich daran denke. An deinen Ausbruch gestern Nacht. Du willst, dass ich
es vergesse. Weil ich die einzige bin, die dein falsches Lachen heute
enttarnt. Die deine innere Leere kennt. Jetzt sprichst du weiter, hast
dich wieder gefangen. Dir ist klar, dass ich schweigen werde, denn es
ist ein Geheimnis zwischen uns. Dir, mir und deinen dunklen Gedanken.
von Jonas Gadomska
ch lege
das Werk auf den freien Sitzplatz neben mir. Das dunkelgraue Buch wirkt
einsam, gar verloren. Es liegt bewegungslos da. Ganz so, als würde es
darauf warten, von mir in die Hand genommen und wenigstens
durchgeblättert zu werden. Heute werde ich diese abendliche Routine
durchbrechen. Mild triumphierend wende ich mich von ihm ab und schaue
hinaus. Ich sitze eigentlich immer hier, denn warum sollte das Buch
einen Fensterplatz bekommen? Produktiver wollte ich werden, trotzdem
schaue ich jetzt stumm aus dem Fenster. Die leisen Gespräche bleiben
konstant, das Licht wird leicht gedimmt: Der Zug fährt. Hinter den
Spiegelbildern der Sitze und einiger Passagiere, erkennt man das
andere Leben. Das Leben außerhalb des Waggons. Dunkelgraue Gestalten vor
leuchtenden Leinwänden: Rauchend vor der Balkontür. Streitend vor dem
Küchenfenster. Lesend hinter der kleinen Dachluke. Was würden sie sehen?
Mich, höchstwahrscheinlich, aber auch meinen Mitfahrer? Ich hebe das
Buch hoch und halte es vor die Fensterscheibe. Ich sehe einen
dunkelgrauen Umriss. Wirklich so fremd, wie die anderen? Ich senke
meinen Kopf.
Ein in der Dunkelheit hellgrau erscheinendes Graffiti zieht an meinem Fenster vorbei. Meine Augen verfolgen es nicht. Abspann.
Ein in der Dunkelheit hellgrau erscheinendes Graffiti zieht an meinem Fenster vorbei. Meine Augen verfolgen es nicht. Abspann.
von Eva Mainusch
Der
Display leuchtet grell vor meinen müden Augen auf und lädt die
Nachrichten der letzten Nacht. Ich sehe deinen teuren Cocktail von
gestern Abend, ich sehe deine neue Frisur. Alles wie immer.
Ich bin mit dir nach Lissabon geflogen, habe aufmerksam dein Auslandssemester verfolgt. Habe dir zugesehen wie du wieder ins Flugzeug stiegst und blicke nun auf deine Umzugskartons. Als deine Freunde und du mit eiskaltem Bier auf dein neues Zuhause anstoßen verziehe ich keine Miene. Ich tippe auf den rechten Rand des Bildschirms und weg ist dein strahlendes Lachen. Stattdessen jetzt das verschwommene Gesicht meiner Mitbewohnerin in unserer Stammkneipe. Später taucht dein markantes Profil nochmal auf. Dein Schatz freut sich riesig über euren großen Schritt und liebt dich. Dich mit deinen vielen Freunden, mit deinem tollen neuen Job und deinen Urlauben am Mittelmeer, mit den ausgelassenen Partys, deinem neuen Haarschnitt und euren besonderen Momenten zu Zweit. Wir alle teilen sie mit euch, wenn wir eure Gesichter auf dem matten Display betrachten, dir über die Schulter gucken. Nur dich sehe ich nicht, du bleibst im Dunkeln hinter deinen leuchtenden Stories. So oft ich auch schaue, ich erkenne dich einfach nicht.
Ich bin mit dir nach Lissabon geflogen, habe aufmerksam dein Auslandssemester verfolgt. Habe dir zugesehen wie du wieder ins Flugzeug stiegst und blicke nun auf deine Umzugskartons. Als deine Freunde und du mit eiskaltem Bier auf dein neues Zuhause anstoßen verziehe ich keine Miene. Ich tippe auf den rechten Rand des Bildschirms und weg ist dein strahlendes Lachen. Stattdessen jetzt das verschwommene Gesicht meiner Mitbewohnerin in unserer Stammkneipe. Später taucht dein markantes Profil nochmal auf. Dein Schatz freut sich riesig über euren großen Schritt und liebt dich. Dich mit deinen vielen Freunden, mit deinem tollen neuen Job und deinen Urlauben am Mittelmeer, mit den ausgelassenen Partys, deinem neuen Haarschnitt und euren besonderen Momenten zu Zweit. Wir alle teilen sie mit euch, wenn wir eure Gesichter auf dem matten Display betrachten, dir über die Schulter gucken. Nur dich sehe ich nicht, du bleibst im Dunkeln hinter deinen leuchtenden Stories. So oft ich auch schaue, ich erkenne dich einfach nicht.
Keine Kommentare
Kommentar veröffentlichen