Mittwoch, 13. Mai 2015

Printseite Mai 2015 / Weißt du eigentlich, was du da sagst?


von Elina Göhrmann

Die Frau im Spiegel sieht nicht glücklich aus, denkt sie, als sie sich auf dem Stuhl niedersinken lässt. Müde wischt sie sich das Make-Up aus dem Gesicht und registriert seufzend, dass ihre Haut noch grauer, als gestern oder gar vorgestern, ist. Unter ihren Augen liegen dunkle Ringe. Kein Wunder, wo sie doch ständig in der Nacht die Stimmen der anderen am Hofe hört. „Mehr als hübsch sein kann sie nicht“, „Sie musste sich doch noch nie Sorgen machen“, „Was will sie denn mehr? Jeder andere wäre froh, wenn man so einem reichen und edlen Herrn versprochen wäre.“
Was wussten sie alle denn schon? Ihr restliches Leben würde sie mit diesem Mann verbringen müssen, der nicht einmal einen Hauch von Ahnung hatte, was ihr wichtig war. Ständig musste sie darauf achten, was sie sagte und egal wie schlecht es ihr ging, niemals durfte sie es zeigen. Es gab Tage, da tat ihr Gesicht vom Lächeln weh und wie oft sie doch gerne in der Bibliothek gesessen und gelernt hätte, aber ihre Pflichten ihr keine Zeit dafür gelassen hatten.
Als es an der Tür klopfte, wusste sie, dass ihre Zeit für sich vorbei war. Ihre zwei Kammerzofen traten ein und fingen an, ihr Haar zu bürsten und ihr Bett aufzuschlagen. Mühsam zauberte sie wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht. Während sie ihr Spiegelbild anschaute, fragte sie sich, ob noch andere merkten, dass es ihre Augen nicht erreichte. „Morgen müsst Ihr ausgeruht sein, Herrin“, zwitscherte die Zofe, die gerade ihre Schlafsachen heraussuchte. „Es ist Euer großer Tag und Ihr werdet fantastisch aussehen.“ Ihre Zofe Leila, die immer noch mit einem Kamm durch ihre blonden Haare fuhr, bemerkte bestimmt, wie sie zusammenfuhr, sagte aber nichts. Erst, als beide sich verabschiedeten und sie alleine ließen, beugte sie sich noch einmal vor. „Es gibt auch Leute, die Euch verstehen.“ Und für ein paar Minuten tröstete sie das sogar.

von Tassia Weimann

Ich übernehme Verantwortung. Mit meinen Worten. Mit den Informationen, die ich den anderen damit mitteile, auch wenn ich es selbst vielleicht nicht beabsichtigt habe.
Am liebsten würde ich mich auf den Marktplatz stellen und die Postkarten meiner Studienvertretung wie Flugblätter fliegen lassen. So dass bei manchen Passanten die Ecken der Postkarte in die Stirn pieksen. Ein bisschen wehtun muss es schließlich schon. Die bunten Postkarten schmücken auf der Vorderseite provokante Äußerungen wie „Bist du behindert?“, „Mongo“, „Spast“, „Du Jude!“, „Du Neger!“ und noch viele mehr. Alle sind mit einem kleinen Sternchen versehen, der auf die Frage hinweist: „Weißt du eigentlich, was du da sagst?“ Auf der Rückseite steht dann eine sachliche Erklärung des Begriffes.
Und diese Erklärung haben manche bitter nötig. Niemand ist unfehlbar. Immer wieder sind mir in der Vergangenheit Wörter über die Lippen gekommen, die gerade dem Jugendslang entsprachen. Wörter über die ich selbst nicht nachgedacht habe. Es war ebenso. Aber ich muss mir Mühe geben. Ich möchte nicht, dass andere durch mich lernen, dass man alles einfach sagen kann, was man will. Dinge, deren Sinn man nicht einmal versteht.  Ich möchte Verständnis schaffen und nicht noch mehr Abstand. Wer weiß denn bitte noch, dass der Begriff „Kanake“ früher für Seemänner verwendet wurde? Genau niemand. Also bitte erst denken und dann einfach schweigen.

von Yasemin Rittgerott

"Du bist tausend Lieder wert. Mehr. Viel mehr.", sagtest du, drehtest dich um und gingst. Ich sehe dir nach. Deine Worte klingen in meinen Ohren. Du hast bei mir eingeschlagen und hinterlässt nun nichts außereinem Chaos aus Wut, Enttäuschung und Tränen. Tränen, die ich nicht weinen kann, weil da nichts ist. Nichts, außer einer alles ausfüllenden Leere – mich ausfüllend mit Unverständnis.
Geschockt stehe ich da, wie ein Reh im Scheinwerferlicht und betrachte die Trümmer.
Dabei hatte mein Herbst so gut angefangen.
„Es sind die Kleinigkeiten, die sich lohnen, sie zu beschreiben... Wenn du zum Beispiel lachst, lachst du mit deinem ganzen Gesicht. Das ist unglaublich warmherzig.“ und weitere solcher Sätze, fluteten meine ausgetrockneten Ohren mit Zuneigung, wie sie sie Jahre nicht gehört hatten.
Und ich lachte, lachte dich an. Aber weißt du überhaupt, was du da alles gesagt hast?
Weißt du überhaupt mit welcher Wucht deine Worte bei mir einschlugen? Wenn ich mir jedes von ihnen immer und immer wieder ins Gedächtnis rufe, komme ich dem Abgrund jedes Mal ein Stück näher.
Doch du wirst dort unten nicht auf mich warten – das weiß ich. Ich erinnere mich, wie sich alles an dir einig war. Deine Augen, deine Hände, dein Lachen, alles hat mir deutlich gesagt: „Ich will dich.“ Doch letztendlich waren es deine Lippen, die die Worteformten: „Ich weiß halt gar nicht genau ob ich momentan so auf was Festes aus bin... Es hat sich vielleicht einfach nicht richtig angefühlt und es tut mir sehr leid, dass du jetzt mit den Konsequenzen leben musst.“
Was erwartet mich dann am Ende dieses schwarzen Nichts? Woraus ist dieser Boden gemacht, auf dem ich zerschellen werde?
Wieso falle ich überhaupt? Wie konnte ich deinen Worten Glauben schenken? Mich in ihrem süßen Netz verfangen?
Vielleicht habe ich mir einfach so sehr gewünscht, dass das Gewicht deiner Worte mein Leben aufwiegt. Hätte ich etwas ändern können?
Deine Worte haben mir die Sprache verschlagen. Hätte ich etwas sagen können, dass deine Worte nicht ihr Gewicht verlieren?

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