von Elina Göhrmann
Es gibt da
diesen einen Durchgang bei mir Zuhause. An sich ist er sehr schön: weiße Wände
ohne Graffiti,
viel Platz
zur Seite und nach oben, hell erleuchtet in der Nacht und schön in die Umgebung
integriert. Wäre da nicht diese eine kleine Sache, würde ich wegen ihm bestimmt
immer den längeren Weg zur Universität gehen, nur um ihn zu bewundern. Die
kleine Sache kann man auch als viele kleine Sachen bezeichnen. Ein Gräuel für
viele Menschen, wage ich zu behaupten: Spinnen.
Viele mögen
jetzt den Kopf schütteln, doch als ich eines Abends nichtsahnend einen
Spaziergang begann und sich vor mir eine dieser dicken und dennoch langbeinigen
Tierchen von der hohen Decke abseilte war das für mich ein Erlebnis, das mir
Tage später immer noch im Kopf umherschwirrte. Immer noch herumschwirrt, wenn
ich ehrlich bin. Wie sie dort vor meinem Gesicht baumelte, schoss mir nur durch
den Kopf: „Oh mein Gott, sie wäre auf mir, wenn ich einen Schritt schneller
gewesen wäre.“
Tagsüber
verstecken sich die Spinnen und dennoch sehe ich immer und überall in die
Ecken, wenn ich doch
einmal
gezwungen bin, schnell durch den Durchgang zu huschen. Es ist wie eine eisige
Hand, die mir den Rücken hinabfährt, wenn ich auch nur daran denke nachts dort
entlang zu gehen. Die Schönheit, die ich
zuvor
beschrieben habe, nehme ich dabei eigentlich nur noch aus der Ferne wahr. Jedes
Mal wenn ich daran denke, finde ich es schade, dass solch Kleinigkeiten mich
dazu bringen können einen Ort zu meiden,
beziehungsweise
ihn so wenig zu besuchen, wie es geht. Ich weiß auch, dass diese Angst oder der
Ekel eigentlich blöd sind, aber trotzdem: zum Stehen bleiben kann ich mich erst
bewegen, wenn ich den schönen, weißen Durchgang hinter mir gelassen habe.
von Tassia Weimann
Ich öffne
die Türen des Seiteneinganges. Statt wie sonst mein Fahrrad abzustellen, habe
ich heute einen Parkplatz rund ums Schulgebäude gesucht. Um mich wuseln die
Schüler herum. Viel verändert hat sich nicht, denke ich mir. Und blicke mich in
der Pausenhalle um. Schüler, die im Kreis stehen und über die neusten
Gerüchte quatschen. Der Kicker, der wie immer im Gebrauch ist. Das Klackern
schallt durch den Raum. Ich verspüre den Drang zum Vertretungsplan zugehen und
zu hoffen, dass die nächsten 8 Stunden ausfallen. Doch ich bleibe kurz stehen.
Äußerlich hat sich nicht viel verändert, aber innerlich ist es nicht mehr
dasselbe. Ich fühle mich beobachtet. Jeder Fünftklässler scheint diesen „Hä?!
Was macht die denn hier? Wer ist das?!“-Blick zu haben. Schüler sind wie
Wachhunde. Ich nehme gleich die erste Treppe, um den Blicken halbwegs zu
entkommen. Vor der Aula wurden ein paar Wände verschoben. Wer auch immer sich
das wieder ausgedacht hat. Vor dem Lehrerzimmer bleibe ich stehen und klopfe.
Eine meiner ehemaligen Lehrerin steht in der Tür. Ich strahle sie an. Endlich
jemand, den ich noch kenne! Doch leider scheint sie sich nur noch wage zu
erinnern. „Ich würde gerne mit Frau M. sprechen!“, sage ich ihr. Sie schaut
etwas hilflos zu einer Lehrerin, die ich das letzte Mal in der 7. Klasse hatte.
„Wie heißt sie nochmal?“, flüstert sie ihr zu, so dass ich es wohl anscheinend
nicht hören sollte. Die Antwort kommt prompt und ich bin ein wenig erleichtert,
dass ich wenigstens in irgendeinem Gedächtnis haften geblieben bin. Aber
ehrlich? Nach nicht mal einem Jahr? Frau M. kommt an die Tür und drückt mir die
Kollekte des Abigottesdienstes – den Grund meines Erscheinens - in die Hand.
Nach ein paar belanglosen Worten zieht sie sich in die geheimnisvollen
Katakomben zurück. Und ich bleibe etwas ratlos vor der Tür stehen, bis mich der
Drang erfasst hier abzuhauen. Mein Unwohlsein wird immer stärker und ich renne
förmlich nach draußen. Ich gehöre hier einfach nicht mehr her.
von Yasemin Rittgerott
Lange Zeit
habe ich in deinem Schatten gelebt. Dort ging es mir gut. Ich habe alles
gemacht, was du gemacht hast, alles gemocht, was du gemocht hast. Es war
sicher. Du warst beliebt, ich war beliebt. Ich habe mich dennoch immer nach
deiner Anerkennung gesehnt. Aber du warst zu beschäftigt, mit Jungs, Partys und
damit, noch cooler zu werden. Ich war deine beste Freundin und war immer für
dich da, das war unsere Freundschaft, das hat dir gereicht und das hat auch mir
gereicht – jedenfalls für eine Zeit. Ich habe nur allein zu Hause in meinem
Zimmer über Dinge phantasiert, die ich gerne ohne dich tun würde.
Aber wie
gesagt, in seinem Schatten war es sicher. Ich hatte viele Freunde, wurde zu
Parties eingeladen, es war immer was los. Dass mich alle nur als deine
Freundin, dein Anhängsel gesehen habe, hat mich nicht gestört. Besser so
gesehen zu werden, als gar nicht, dachte ich mir.
Doch dann
kam die Liebe ins Spiel und zeigte mir, dass es auch Menschen gab, die mich
sahen – und zwar mich ganz allein. Ich begann mich von dir zu lösen und ein
Streit brach dann endgültig entzwei, was zuvor jahrelang so gut funktioniert
hatte.
Heute, Jahre
nachdem ich den Schritt aus der Dunkelheit gewagt habe, bereue ich diese Zeit
zwar nicht, ich habe vieles gelernt, was mich heute stärker sein lässt. Ich
weiß nun, dass ich es auch ohne dich schaffen kann, dass ich mich nicht von
jemandem anderen abhängig machen muss, um glücklich zu sein. Dass kann ich nur
als Ich allein. Und trotzdem oder auch gerade wegen dieser Erkenntnis, möchte
ich nie mehr abhängig sein, von jemandem anders, der mich nur in seinem
Schatten duldet.