Mittwoch, 24. September 2014

Printausgabe September 2014 / Peking, Paris, Peine ...

von Elina Göhrmann

„Peine ist so grau. Ich weiß gar nicht, was ich dir Großstadtkind zeigen soll. Grau, Grau, Grau, tristes Grau – siehst du das?“ Mit einem Schulterzucken sehe ich Marcus an, der neben mir am Busbahnhof steht. Er als typischer Hamburger kennt Brücken, Häfen, große Glashochhäuser und kunterbunte Parks. Wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse, erscheint mir Peine noch kleiner und langweiliger, als sonst.
 „Jede Stadt hat etwas Einmaliges. Zeig mir einfach alles und ich finde es für mich schon.“, lächelt er mich an und fängt an loszulaufen.
„Wohin willst du?“
„Irgendwohin. Jetzt komm schon, Mag!“
Die Fußgängerzone ist belebt, als wir nebeneinander gehend die einzelnen Geschäfte anschauen und Richtung Jakobikirche wandern. Ich wünschte, es wäre Eulenmarkt – überall kleine Stände und Bühnen und gute Stimmung. Alles etwas mehr wie Hamburg oder wenigstens Braunschweig.
„Tut mir leid, dass Peine eher trist ist und wir nicht so viele tolle Sachen unternehmen können wie bei dir.“, murmele ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Marcus bleibt stehen und guckt mich aus seinen grünen Augen ernst an, bis er den Kopf schüttelt und sein schiefes Grinsen aufsetzt.
„Ist dir vielleicht mal bewusstgeworden, dass Peine nur so grau erscheint, weil die Städte um Peine herum den Glanz abbekommen? Celle, Hildesheim, Hannover, Peine, Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg. Ihr seid doch mitten drin. Nur weil Hannover vielleicht größer ist, ist Peine nicht weniger schön. Das ist genauso mit Hamburg. Was ist Hamburg denn schon gegen Peking oder gar Paris?“
„Aber hier funkelt wirklich gar nichts. Wir haben keine großen, schillernden Gebäude oder Schiffe.“
„Ach Mag, es kommt doch nicht darauf an, wie glänzend deine Stadt ist, sondern darauf, dass sie in dir ein Gefühl von Heimat erweckt.“
Ich schwieg. Verdammt, er hatte Recht.

von Tassia Weimann

Die Kamera liegt schwer auf meinen Beinen. Ich habe mir vorgenommen heute schöne Fotos von Peine zu machen. Irgendwas muss ich finden, was Peine anderen von einer schönen Seite zeigt. Vor allem möchte ich es mir vor Augen führen. Jahrelang haben wir uns versichert, wie schrecklich unsere Heimat ist. Es wird Zeit damit aufzuhören. Ich öffne die Autotür und gehe zielsicher in die Innenstadt.
Am Abend muss ich über eine Puppe lachen, die auf den Sonnenschirm von Venezia liegt. Aber mich faszinieren auch die Bilder von all den alten Fachwerkhäusern. Mein Blick geht weg von der leeren Fußgängerzone zu den schönen Häusern über den Geschäften. Peine kann schön sein, wenn man sich nicht von all dem Grau blenden lässt. Dies fällt mir oft so schwer. Aber Peine ist mehr. Peine ist Geborgenheit, Sicherheit, Heimat. Hier weiß ich, wo ich die besten Chinanudeln der Welt finden kann, kenne jeden Gang in den Supermärkten, liebe das kühle Nass der Seen im Sommer, kaufe meine Bücher immer noch am liebsten bei Gillmeister, weiß was im Restaurant am besten schmeckt, kenne eine alternative Route mit dem Auto ohne das Navi einzuschalten. Peine ist mehr als das Grau. Aber manchmal muss ich mir das ins Gedächtnis rufen, wenn ich nicht weiß, wo ich abends meine Zeit verbringen soll. Wenn ich mir kleine, einzigartige Geschäfte oder längere Öffnungszeiten wünsche. Wenn ich mich nach Bergen sehne. Aber das ist okay. Ich komm zurück, wenn mir das, was Peine ausmacht wieder fehlt. Und bis dahin gebe ich mir Mühe besser über meine Heimat zu sprechen und die Augen meiner neuen Freunde vom Grau wegzulenken.

von Yasemin Rittgerott

Peking, Paris, Peine...

Ich bin auf einer dieser Studentenpartys in einem kleinen Gewölbekeller. Es ist eng, laut und feucht. An der Bar hat mich so ein großer Typ angequatscht, der sich etwas runterbeugen muss, um in mein Ohr zu brüllen: „Wo kommst du denn ursprünglich so her?“ „So ein Kaff zwischen Braunschweig und Hannover“, brülle ich ihm auf Zehenspitzen schwankend entgegen. Sein Blickbleibt fragend und ich präzisiere: „Peine!“ „Ist ja auch egal.“, bekomme ich zurück und wir stoßen an.
Ich würde nie sagen, dass ich keine gute Zeit hatte, in Peine aufzuwachsen, aber kleine nette Städtchen mit lustigen Dörfern drum rum, gibt es tausende. Was Peine für mich zum zu Hause macht, ist die Gewohnheit und die Menschen mit der man sie teilt. Für mich ist es nicht die Kleinstadt mit den gewöhnlichen Einkaufsmöglichkeiten, zu der ich immer wieder zurückkomme, sondern meine Familie mit der ich mich am Sonntag zum Essen setze, wie wir es schon Jahre tun. Ich freue mich nicht Monate vorher schon aufs Freischießen, weil ich gerne Karussell fahre, mich gerne durchs Gedränge schiebe, sondern weil ich es liebe, dass plötzlich all meine Lieblingsmenschen unter einem Zeltdach zusammenkommen.
Wäre ich mit dem großen Typen an der Bar noch frische Luftschnappen gegangen und hätten ich ihm noch mehr über Peine erzählt, hätte ich ihm sicher auch gesagt, dass ich zufrieden bin mit meiner Heimat. Es hätte mich sicher schlechter treffen können. Jedoch fiel es mir auch nicht schwer, meine Studienstadt zu meinem neuen zu Hause zu machen. Für mich ist es das Gefühl, das Freunde oder Familie einem geben, die Gewohnheit, sich auskennen, die einen Ort mit Emotionen bestücken und Erinnerungen schaffen. Und da ist es doch(fast) egal, wo man ist.

Peine, Pisa, Prag...
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