von Elina Göhrmann
„Peine ist
so grau. Ich weiß gar nicht, was ich dir Großstadtkind zeigen soll. Grau, Grau,
Grau, tristes Grau – siehst du das?“ Mit einem Schulterzucken sehe ich Marcus
an, der neben mir am Busbahnhof steht. Er als typischer Hamburger kennt
Brücken, Häfen, große Glashochhäuser und kunterbunte Parks. Wenn ich mir das so
durch den Kopf gehen lasse, erscheint mir Peine noch kleiner und langweiliger,
als sonst.
„Jede
Stadt hat etwas Einmaliges. Zeig mir einfach alles und ich finde es für mich
schon.“, lächelt er mich an und fängt an loszulaufen.
„Wohin
willst du?“
„Irgendwohin.
Jetzt komm schon, Mag!“
Die
Fußgängerzone ist belebt, als wir nebeneinander gehend die einzelnen Geschäfte
anschauen und Richtung Jakobikirche wandern. Ich wünschte, es wäre Eulenmarkt –
überall kleine Stände und Bühnen und gute Stimmung. Alles etwas mehr wie Hamburg
oder wenigstens Braunschweig.
„Tut mir
leid, dass Peine eher trist ist und wir nicht so viele tolle Sachen unternehmen
können wie bei dir.“, murmele ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Marcus
bleibt stehen und guckt mich aus seinen grünen Augen ernst an, bis er den Kopf
schüttelt und sein schiefes Grinsen aufsetzt.
„Ist dir
vielleicht mal bewusstgeworden, dass Peine nur so grau erscheint, weil die
Städte um Peine herum den Glanz abbekommen? Celle, Hildesheim, Hannover, Peine,
Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg. Ihr seid doch mitten drin. Nur weil
Hannover vielleicht größer ist, ist Peine nicht weniger schön. Das ist genauso
mit Hamburg. Was ist Hamburg denn schon gegen Peking oder gar Paris?“
„Aber hier
funkelt wirklich gar nichts. Wir haben keine großen, schillernden Gebäude oder
Schiffe.“
„Ach Mag, es
kommt doch nicht darauf an, wie glänzend deine Stadt ist, sondern darauf, dass
sie in dir ein Gefühl von Heimat erweckt.“
Ich
schwieg. Verdammt, er hatte Recht.
von Tassia Weimann
Die Kamera liegt schwer auf meinen Beinen. Ich habe mir
vorgenommen heute schöne Fotos von Peine zu machen. Irgendwas muss ich finden,
was Peine anderen von einer schönen Seite zeigt. Vor allem möchte ich es mir
vor Augen führen. Jahrelang haben wir uns versichert, wie schrecklich unsere
Heimat ist. Es wird Zeit damit aufzuhören. Ich öffne die Autotür und gehe zielsicher
in die Innenstadt.
Am Abend muss ich über eine Puppe lachen, die auf den
Sonnenschirm von Venezia liegt. Aber mich faszinieren auch die Bilder von all
den alten Fachwerkhäusern. Mein Blick geht weg von der leeren Fußgängerzone zu
den schönen Häusern über den Geschäften. Peine kann schön sein, wenn man sich
nicht von all dem Grau blenden lässt. Dies fällt mir oft so schwer. Aber Peine
ist mehr. Peine ist Geborgenheit, Sicherheit, Heimat. Hier weiß ich, wo ich die
besten Chinanudeln der Welt finden kann, kenne jeden Gang in den Supermärkten,
liebe das kühle Nass der Seen im Sommer, kaufe meine Bücher immer noch am
liebsten bei Gillmeister, weiß was im Restaurant am besten schmeckt, kenne eine
alternative Route mit dem Auto ohne das Navi einzuschalten. Peine ist mehr als
das Grau. Aber manchmal muss ich mir das ins Gedächtnis rufen, wenn ich nicht
weiß, wo ich abends meine Zeit verbringen soll. Wenn ich mir kleine,
einzigartige Geschäfte oder längere Öffnungszeiten wünsche. Wenn ich mich nach
Bergen sehne. Aber das ist okay. Ich komm zurück, wenn mir das, was Peine
ausmacht wieder fehlt. Und bis dahin gebe ich mir Mühe besser über meine Heimat
zu sprechen und die Augen meiner neuen Freunde vom Grau wegzulenken.
von Yasemin Rittgerott
Peking,
Paris, Peine...
Ich bin auf
einer dieser Studentenpartys in einem kleinen Gewölbekeller. Es ist eng, laut
und feucht. An der Bar hat mich so ein großer Typ angequatscht, der sich etwas
runterbeugen muss, um in mein Ohr zu brüllen: „Wo kommst du denn ursprünglich
so her?“ „So ein Kaff zwischen Braunschweig und Hannover“, brülle ich ihm auf
Zehenspitzen schwankend entgegen. Sein Blickbleibt fragend und ich präzisiere:
„Peine!“ „Ist ja auch egal.“, bekomme ich zurück und wir stoßen an.
Ich würde
nie sagen, dass ich keine gute Zeit hatte, in Peine aufzuwachsen, aber kleine
nette Städtchen mit lustigen Dörfern drum rum, gibt es tausende. Was Peine für
mich zum zu Hause macht, ist die Gewohnheit und die Menschen mit der man sie
teilt. Für mich ist es nicht die Kleinstadt mit den gewöhnlichen
Einkaufsmöglichkeiten, zu der ich immer wieder zurückkomme, sondern meine
Familie mit der ich mich am Sonntag zum Essen setze, wie wir es schon Jahre
tun. Ich freue mich nicht Monate vorher schon aufs Freischießen, weil ich gerne
Karussell fahre, mich gerne durchs Gedränge schiebe, sondern weil ich es liebe,
dass plötzlich all meine Lieblingsmenschen unter einem Zeltdach zusammenkommen.
Wäre ich mit
dem großen Typen an der Bar noch frische Luftschnappen gegangen und hätten ich
ihm noch mehr über Peine erzählt, hätte ich ihm sicher auch gesagt, dass ich
zufrieden bin mit meiner Heimat. Es hätte mich sicher schlechter treffen
können. Jedoch fiel es mir auch nicht schwer, meine Studienstadt zu meinem
neuen zu Hause zu machen. Für mich ist es das Gefühl, das Freunde oder Familie
einem geben, die Gewohnheit, sich auskennen, die einen Ort mit Emotionen
bestücken und Erinnerungen schaffen. Und da ist es doch(fast) egal, wo man ist.
Peine, Pisa, Prag...
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