Dienstag, 29. Mai 2018

Printseite Mai 2018 / Wertstücke

von Julius Lütgemeier

Foto: pixabay.com

“Und hier ist Ihr Wechselgeld.” Der Wanderer nahm das einzelne Goldstück beiläufig entgegen, während er die weitere Ware des Stands beäugte. Er spürte, dass sich etwas zwischen seinen Fingern bewegte und hätte bei dem Anblick des kleinen Drachen fast die Münze fallen gelassen. Die winzige, rot-gold geschuppte Kreatur hatte alle vier Gliedmaßen fest um das Gold geklammert. Die zerbrechlichen Flügel erinnerten mehr an eine Libelle als an einen Feuerspeier. "Was ist das denn?", fragte der Mann die Verkäuferin und versuchte, das Biest durch Wedeln abzuschütteln, was ihm ein piepsig anmutendes Fauchen und einen versucht finsteren Blick einbrachte. "Nein, nein! Münze nehmen, heißt Drachen nehmen. Er beschützt nur seinen Schatz. Jeder Drache braucht doch einen Schatz. Geben Sie's bald aus, ja? Am besten an einem anderen Stand weiter weg. Er reist gerne." Er betrachtete den neuen Begleiter auf seiner Handfläche. Dieser kringelte sich gerade, machte es sich gemütlich und stieß zufrieden einen kleinen Rauchschwall durch seine Nüstern aus. Der Mann seufzte - andere Länder, andere Riten -, öffnete seinen prallen Geldbeutel und legte vorsichtig die Münze hinein. Der Drache quiekte aufgeregt und fiel in Ohnmacht.

von Hannah Springer

Foto: Hannah Springer
Wir stehen uns gegenüber. Einen ganzen Sommer haben wir zusammen verbracht, in einer WG gelebt, ein Zimmer geteilt und quasi 24/7 gemeinsam bestritten. Jetzt ist der Tag gekommen, an dem sich unsere Wege trennen.
Ein komisches Gefühl, was sich bei uns beiden in der Magengegend breitmacht. Der Andere gehörte wie selbstverständlich zum Tag dazu. Du hast mich morgens immer geweckt, wenn ich auch den dritten Wecker müde ausgestellt habe und ich habe dich abends so lange mit guter Laune überschüttet bis du auch nach einem anstrengenden Tag wieder lächeln konntest. Rückblickend finde ich es immer noch unglaublich, wie wir zwei, zwei eigentlich so verschiedene Menschen, in den letzten 3 Monaten so zusammenwachsen konnten.
Wir stehen uns immer noch gegenüber und irgendwie ist es komisch zu wissen, dass alle deine Koffer gepackt sind. Deine Schränke leer und das Bett, was immer nach dem Aufstehen im direkten Blickfeld lag, jetzt abgezogen ist. Keiner will den Moment des Abschieds so richtig beginnen und niemand will das letzte „Tschüss“ endgültig sagen. Da machst du einen Schritt auf mich zu. „Ich hab da noch was für dich“, sagst du und greifst in deine Tasche. Du legst es in meine Hand. Es ist ein Stein, der von vielen Rillen und Maserungen durchzogen ist. Für viele wäre dies sicher nur ein Stein, für mich ist es das Zeichen unseres Sommers- und das weißt du. Ich lächele. Danke.

von Tassia Weimann

Foto: Tassia Weimann
Da sitze ich wie ein ausgestoßenes Kind vor dem Klassenraum. Die Lehrer und Schüler, die durch das Schulgebäude eilen, gucken interessiert, was ich da mache. Ich bin zu alt, um vor die Tür geschickt geworden zu sein. Ich warte darauf, dass ich wieder hineinkommen kann. Ich höre die Stimmen in der Klasse ganz aufgeregt durcheinander sprechen. Es ist mein letzter Tag. Wieder einmal. Dafür, dass ich Abschieden nicht sehr viel Positives abgewinnen kann, passiert das ziemlich oft. Es ist mein dritter Abschied in dieser Schule und irgendwie konnte ich mich jedes Mal nicht damit abfinden, dass es nun vielleicht endgültig ist. Also startete das nächste Praktikum.
Voller Vorfreude öffnet ein Schüler mir die Tür und lässt mich hinein. Ein Frühstück ist vorbereitet, auf den Servierten liegen kleine Schoko-Osterküken. Die Schüler sitzen ganz feierlich an ihren Plätzen. Der Stolz steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Nachdem wir die Brötchen verspeist haben, wird es ernst. Eine Schülerin überreicht mir das selbstgemachte Bild, welches sie für mich – ganz heimlich – gestaltet haben. Vollkommen unbemerkt blieben ihre Mühen dieses Mal nicht, aber über das Ergebnis kann ich trotzdem staunen. Schon verrückt, wie viel Wertschätzung darin liegt – von den Schülern, aber auch von den Lehrern.
Die Bilder transportieren für mich so viel Positives. Sie sind ein fester Bestandteil in meinem Zimmer – und werden später das Büro schmücken. Bis dahin machen sie mir Mut, zeigen mir, warum ich das Ganze angefangen habe. Warum es sich lohnen wird, das Referendariat durchzustehen. Und irgendwann werde ich selbst mit meiner Klasse die bunte Wertschätzung an unsere Praktikanten verschenken. Das habe ich mir fest vorgenommen.

von Mette Springer

Foto: Mette Springer
Als ich ungefähr sechs oder sieben war, war dabei einer meiner ersten Gegenstände stets gesetzt.
Ich packte meinen Koffer und packte ein... ja, klar: meine Kuscheldecke.
Diese blaue Decke mit dem hellblauen Esel drauf, ist für mich einfach ein Symbol meiner Kindheit. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich die erste Erinnerung mit ihr hatte. Sie war irgendwie schon immer da. Bringt Heimat und Geborgenheit an jeden noch so unheimlichen Ort. Ich habe sie damals so gut wie auf jede Reise mitgenommen.
Heute liegt die Decke zwischen meinen Erinnerungen in einer Kiste. Auch wenn sie dort nicht mehr die Beachtung bekommt wie früher, vermittelt sie für mich noch immer mit jedem Öffnen des Deckels das Gefühl von Vertrautheit.

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