Foto: Tassia Weimann |
von Niklas Stuhr
Held. Substantiv. Eine Sagengestalt, die sich durch großen Mut und kühne Taten auszeichnet. Eine Person, die sich durch außergewöhnliche Taten auszeichnet. Die Hauptfigur eines Buches oder Bühnenstücks. Er schließt das Fenster, indem Wikipedia geöffnet war. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen wird größer durch den Druck, den die gerunzelte Stirn ausübt. Es ist fast schon ein Widerspruch, diese Definition nimmt dem Wort die essentielle Charakteristik, die es sonst ausmacht. Demnach ist der Held einfach nur irgendein Typ. Irgendein Typ wie jeder andere. Er ist nicht wie jeder andere, zumindest nicht in seinen Augen. Seitdem es den Zeitungsartikel gab, der auch auf Facebook veröffentlicht wurde, bekommt er jeden Tag Nachrichten, die ihm sagen, was für ein Held er ist. 91 Likes haben sich mittlerweile angehäuft. All das, weil er die Katze gefunden hat, die seit einer Woche vermisst wurde. Sie saß fest auf einem kleinen Vorsprung hinter seinem Haus und er rettete sie selbstverständlich. Selbst fand er zunächst nicht, dass das so eine große Sache sei, aber die überwältigende Flut an Nachrichten, die ihm entgegenkam, sah das anders. Und 91 Leute können sich nicht irren. Dementsprechend empfindet er es eine Unverschämtheit, was sich die Wikipedia Definition da rausnimmt.von Jonas Gadomska
Ich lege den kleinen Papierblock der Peiner Privatbrauerei neben einen schwarzen Kugelschreiber, den ich zuvor in meinem Schulranzen gefunden habe. Keine Ahnung wo der herkommt, denke ich mir, wahrscheinlich war er auch ein Werbegeschenk. Ich nehme einen Schluck vom Bier, das ich im Kühlschrank gefunden habe, und lasse den Stift für einige Zeit klicken. Das Blatt ist noch leer, als hätte mich der Großteil meiner ohnehin kargen Kreativität seit der Englisch-Klausur verlassen. Über Sherlock Holmes hatte ich schreiben müssen, fällt mir ein und kritzele den Namen auf den schmalen Block. Es hatte mir früher immer Spaß gemacht, Geschichten über den britischen Detektiv zuhören, wenn ich mal wieder zu faul zum Lesen war. Mit zugekniffenen Augen schaue ich zum CD-Ständer. Nur schwer kann ich den Schriftzug eines meiner alten Hörbücher erkennen... Hier spielt die Musik, denke ich und schaue wieder auf den Block. Sherlock Holmes. Der Mann, der sich alles merken konnte. Ganz im Gegensatz zu mir, jemand, der sich seine Überlegungen aufschreiben muss, um sie nicht nach zwei Minuten wieder vergessen zu haben. Vielleicht werde ich mich in der Mottowoche nach dem Abi als Detektiv verkleiden. Gute Idee! Schließlich ist das Thema “Kindheitshelden” genau dafür gemacht, eine Person zu verkörpern, welche die eigenen Fähigkeiten weit überschreitet. Ich und mein Werbeblock gingen, in einem Duell gegen Holmes und sein Gedächtnis, wahrscheinlich nicht als Sieger hervor - und das wäre heldenhaft.von Hannah Springer
Jeden Morgen dasselbe Bild: Ich bin zu spät dran! Nicht viel, aber diese drei Minuten, die es schwermachen, den Bus zu erreichen. Zumindest, wenn man wie ich immer einplant, auf die Minute genau, an der Haltestelle zu sein. Natürlich beeile ich mich und der Sprint dahin ist schon längst zu meiner morgendlichen Joggingrunde geworden. Doch meist schaffe ich es nicht. Beziehungsweise würde ich es nicht schaffen. Denn da ist Jemand der auf mich wartet. Jemand, der die genervten Blicke der anderen Fahrgäste auf sich zieht und es wagt die Tür auch noch ein zweites Mal zu öffnen. Vielleicht ist es einfach Mitleid. Mitleid mit mir und meinem abgehetzten Gesichtsausdruck, meiner Frisur, die mittlerweile einem abgerutschten Vogelnest gleicht und meinem krampfhaften Blick auf die Uhr. Aber völlig egal. Wenn ich ankomme, dann steht der Bus noch am Bushäuschen. Ich krame nach der Karte. Meist nuschele ich ein leises „Danke“ vor mich hin. Zurück kommen ein strahlendes Lächeln und ein fröhliches „Guten Morgen“. Ich lächele nicht, sondern bin schon damit beschäftigt Tasche, Schal und Mantel zu ordnen. Aber wenn ich aussteige und die Bahn noch pünktlich erreiche, denke ich an diesen Jemanden. An meine geschenkten Sekunden und das zweite Öffnen der Tür. Und jetzt muss ich lächeln, dankbar lächeln.von Lara Konrad
Klirrend fällt das Glas von meinem Tablett auf den Boden. Die Gäste drehen sich um und schauen mich an, das Gemurmel der Stimmen wird leiser. Peinlich berührt merke ich, wie mein Gesicht rot anläuft. Immerhin hat das Glas den Sturz unbeschadet überstanden. Lasse ich es jetzt liegen, oder versuche ich, es ganz lässig aufzuheben, immer mit der Gefahr, dass der sorgfältig ausbalancierte Geschirrstapel auf meinem vollbeladenen Tablett ins Schwanken gerät? Während ich noch unentschlossen herumstehe, steht eine junge Frau am Tisch ganz in der Nähe auf und reicht mir das Glas vom Boden. Dankbar lächle ich sie an und verschwinde in der Küche. Ein Glas vom Boden aufzuheben ist zwar objektiv keine große Tat, aber mich hat es gerettet - wenn nur alle Menschen solch alltägliche Dinge tun würden, um anderen den Tag zu verschönern, denke ich und werfe der gestresst dreinschauenden Küchenhilfe ein strahlendes Lächeln zu.von Yasemin Rittgerott
Der Wecker hat vor anderthalb Stunden das erste Mal geklingelt.
Nach einigen Malen Drücken des Snooze Buttons, liegt Lili nun da und starrt die
weiße Decke an. Eigentlich müsste sie mal zur Toilette, Hunger hat sie auch ein
bisschen und duschen wäre auch nett, aber sie kann nicht aufstehen. Sie liegt
einfach nur da und eine Schwere drückt auf ihre Brust. Die Minuten vergehen.
Irgendwann schafft sie es hoch aus den Kissen, duscht, frühstückt, dann liegt
sie wieder auf ihrem ungemachten Bett. Sie ist so müde.
Lili wäre gern ihr eigener Held.
Eigentlich ist sie oft aufgedreht und redet zu viel. Dabei
ertränke sie all die geheimen Gedanken, die sie lähmen, in einer Flut von
unwichtigen Details. Trotz der vielen Worte, bleibt so viel ungesagt. So oft
muss sie stark sein, will sie stark sein – für Freunde und Familie. Jetzt
möchte sie stark sein für sich selbst. Doch das ist gar nicht so leicht...
Nur, weil man unter Leuten ist, heißt das nicht, dass man
nicht trotzdem einsam ist.
Nur, weil man lacht, heißt das nicht, dass man sich nicht
innerlich leer fühlt.
Nur, weil man sich auf einem Weg befindet, heißt das nicht,
dass man sich nicht trotzdem verloren fühlt.
Es sind diese Tage, wenn der ganze Schmerz ihrer kleinen
Welt über sie hineinbricht, an denen sie nichts schafft. An denen sie von einer
inneren Leere gelähmt wird, hilflos, ohne zu wissen, wo sie anfangen soll.
Darüber zu reden könnte helfen, ein erster Schritt, doch wen sollte sie da mit
reinziehen, damit belasten, wenn sie doch selbst nicht versteht, was eigentlich
los ist?
Stärke bedeutet, es zu versuchen. Und Lili will es versuchen
- vielleicht morgen.
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