Mittwoch, 6. August 2014

Printausgabe August 2014 / Gefühle

Auf dieser Seite haben alle Autoren eine Leitfrage bekommen, die sie beantworten mussten.

von Yasemin Rittgerott

Wo wohnt Kummer?
„Majestät, ich habe den Wetterbericht. Es scheint als habe uns das gute Wetter auf der Erde einige unserer Tränenspender abringen können. Heute fielen 1/5 Tränen weniger als noch heute vor einer Woche.“ Nachdenklich streicht sich König Kummer über den grauen Bart. „Stabsoberst Schmerz, das sind keine guten Neuigkeiten. Wie schätzen sie die Lage ein? Können wir ein wenig mehr Krieg verstreuen?“ Eine hitzige Diskussion über Krieg, Leid, Trauer und Schmerzbricht aus.
König Kummer tritt an das Fenster, von dem er sein Reichüberblicken kann. Gerade kommt ein heftiger Tränenschauer vom Himmel und lässt ihm ein wohlig warmes Gefühl über den Rücken laufen. Er regiert schon so lange, dass er sich kaum daran erinnern kann, wie es noch war, als es nicht jeden Tag Tränen regnete. Als es einen guten Grund dafür gab, sein Königreich das Reich der tausend Tränen zu taufen. Dies war die Anzahl der Tränen von den Menschen auf der Erde, die es brauchte, damit es 5 Minuten am Tag regnen konnte.
Mit den Jahren waren ihm und seinen Helfern viele neue Grausamkeiten eingefallen, mit denen es ihnen gelang den Menschen noch mehrihrer salzigen Trauer freizulassen.
Die schönsten Tage waren für ihn, wenn er draußen dem Rauschen des Tränenregens lauschen konnte.
„Also gut, streuen wir ein wenig Krieg, Sorge und Unmut und sehen, was wir daraus ziehen können. Lassen sie uns in zwei Tagen nochmal mit allen Qualen zusammenkommen und beraten, wie wir auch in Zukunft den Kummer auf der Welt gewährleisten können.“, spricht der kleine König Kummer und ist zufriedenmit sich, da er schon viele Ideen hat, wie sie dieses Ziel wohl erreichen könnten.

von Elina Göhrmann

Wonach schmeckt Trauer?
William wusste nicht, wie er die Tränen auf seinen Wangen erklären konnte, die auf einmal über seine Wangen strömten. Sie waren doch Wochen lang nicht gekommen. Nicht einmal bei der Beerdigung, als er eine Hand voll Erde auf das Grab seiner Mutter geworfen hatte, waren sie in seine Augen getreten. Es hatte ihn gewundert und vielleicht hatte er auch ein wenig Angst gehabt. „Stimmt etwas nicht mit mir?“ hatte er seinen Vater gefragt, doch der hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und „Jeder trauert anders, mein Sohn“ geantwortet.
 Das Gefühl, dass nun in ihn hereinkroch, während die Tränen herausflossen, kam Erleichterung ziemlich nahe. Und war doch anders: Es schmeckte nach einem köstlichen Schluck klarem Quellwasser nach tagelangem Durst und hinterließ zugleich das qualvolle Wissen, dass der Durst wiederkommen wird. Und zwar, sobald kein Wasser mehr da sein würde.
Er war sich bewusst, dass sein Schmerz der Durst war. Und die Tränen die Trauer. Sobald er keine Tränen mehr übrighätte, würde der Schmerz ihm wieder auf den Schultern sitzen und ihn langsam aber sicher gen Boden drücken. „William“, sagte er sich, „du wirst dir deine Tränen einteilen müssen, wie du dir das Wasser Tropfen für Tropfen einteilen würdest“. Doch egal wie sehr er es sich vornahm: Er weinte weiter. Nahm immer wieder einen Schluck Wasser. Schluckte immer wieder das kühle Nass. Spürte immer wieder neue Tränenspuren auf seinen Wangen.
Er ließ seiner Trauer seinen Lauf. Und als die letzten Tränen geweint waren, wischte er sich über die Wangen und grub seine Hände in seine Bettdecke. Durst ist eine normale Sache, sagte er sich. Er kommt immer wieder, wie der Schmerz. Und so, wie dann etwas zu trinken für mich da sein wird, werden dann die Tränen wieder da sein. Schmerz und Trauer gehören zusammen.

von Jonas Gadomska

Welche Farbe hat Hass?
„Setz dich“, sagte er und ging mit drei Schritten um seinen eichernen Schreibtisch, den er aufgrund seines Aussehens liebevoll den „dritten Resulutdesk“ nannte. Dieses Ritual, welches ich von Anfang an nicht hinterfragen wollte, versetzte ihn in einen Zustand völliger Zufriedenheit. Er sah so aus als würde er seine jahrzehntelang angestaute Unzufriedenheit bei jedem Ritual aufs Neue loslassen, ja sogar verbannen. Er setzte sich in seinen Sessel und deutete mit seinem Zeigefinger auf einen alten, in einer Ecke stehenden Schrank und fügte: „Erste Tür, Dritte von linksoben“, hinzu. Ich stand auf und öffnete die besagte Schranktür. Zu meinem Erstaunen verbarg sich hinter jener Tür eine verstaubte Schallplattensammlung. Ich nahm, die mir vorgeschriebene, Platte heraus. Nachdem ich stutzig feststellen musste, dass jenes Schallplattencover keinerlei Inschrift besaß, verformte sich mein gespannter Gesichtsausdruck zu einer angespannten Fratze, welche eher zu einem schlecht gespielten Horrorfilm passen könnte. Als er dies sah, stand er auf und nahm die Schallplatte entgegen. Er machte den Plattenspieler an. Rauschen. Ich sah ihn verwundert an. Er hatte die Augen geschlossen und wippte mit seinen Fingern in einem imaginären Takt. Nach einiger Zeit schaltete er den Plattenspieler aus. Schweigen. „Und was hat das mit der Farbe des Hasses zu tun?“, fragte ich verdutzt. Er antwortete nur: „Du willst nicht wissen, was echter Hass ist.“

von Tassia Weimann

Wie spricht Traurigkeit?
„Weißt du, was ich heute beim Autofahren gedacht habe? Ich bin egoistisch.“, fängt die kleine zierliche Person vor mir an zu sprechen. Sie rührt den Teelöffel in ihrem schwarzen Tee, der schon viel zu lange zieht, gegen den Uhrzeigersinn. Ich wette, er ist bitter geworden. „Ich möchte all diese Lieder für mich haben. Diese schönen traurigen Lieder, die ich im Auto mit voller Kehle mitsinge. In denen ich all den Schmerz nach draußen schreie. Ich hoffe, die Leute sehen mich beim Vorbeifahren und denken „Was schreit diese Frau da?!“. Sie sollen mich sehen, wie ich scheinbar wortlos schreie. Denn das gehört mir. Dieses Lied, der Schmerz, die Erinnerungen. Wenn ich „'cause you never were and you never will be mine“ schreie, gehört das mir. Er gehört mir, auch wenn ich ihn nicht haben kann. Ich will das mit niemanden teilen. Niemanden das gleiche Lied voller Sehnsucht singen hören, niemanden die gleichen Gefühle für ihn haben sehen.“ Sie schweigt, schaut auf ihren Löffel und ich sehe ihre Traurigkeit. Sie sieht aus, als würde sie jeden Moment in sich zusammenfallen. Ihre Stimme klingt so monoton mit ein paar spitzen Bergen der Verzweiflung zwischendurch. Als würden die versiegten Tränen mit jedem Wort das Salz auf den Lippen aufschichten. Sie baut die Alpen vor sich auf. Ich kann sie kaum noch sehen.
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