Auf dieser Seite haben alle Autoren eine Leitfrage bekommen,
die sie beantworten mussten.
von Yasemin Rittgerott
Wo wohnt Kummer?
„Majestät, ich habe den Wetterbericht. Es scheint als habe uns
das gute Wetter auf der Erde einige unserer Tränenspender abringen können. Heute
fielen 1/5 Tränen weniger als noch heute vor einer Woche.“ Nachdenklich
streicht sich König Kummer über den grauen Bart. „Stabsoberst Schmerz, das sind
keine guten Neuigkeiten. Wie schätzen sie die Lage ein? Können wir ein wenig
mehr Krieg verstreuen?“ Eine hitzige Diskussion über Krieg, Leid, Trauer und
Schmerzbricht aus.
König Kummer tritt an das Fenster, von dem er sein
Reichüberblicken kann. Gerade kommt ein heftiger Tränenschauer vom Himmel und
lässt ihm ein wohlig warmes Gefühl über den Rücken laufen. Er regiert schon so
lange, dass er sich kaum daran erinnern kann, wie es noch war, als es nicht
jeden Tag Tränen regnete. Als es einen guten Grund dafür gab, sein Königreich
das Reich der tausend Tränen zu taufen. Dies war die Anzahl der Tränen von den
Menschen auf der Erde, die es brauchte, damit es 5 Minuten am Tag regnen
konnte.
Mit den Jahren waren ihm und seinen Helfern viele neue Grausamkeiten
eingefallen, mit denen es ihnen gelang den Menschen noch mehrihrer salzigen
Trauer freizulassen.
Die schönsten Tage waren für ihn, wenn er draußen dem Rauschen
des Tränenregens lauschen konnte.
„Also gut, streuen wir ein wenig Krieg, Sorge und Unmut und sehen,
was wir daraus ziehen können. Lassen sie uns in zwei Tagen nochmal mit allen
Qualen zusammenkommen und beraten, wie wir auch in Zukunft den Kummer auf der
Welt gewährleisten können.“, spricht der kleine König Kummer und ist
zufriedenmit sich, da er schon viele Ideen hat, wie sie dieses Ziel wohl
erreichen könnten.
von Elina Göhrmann
Wonach schmeckt
Trauer?
William wusste nicht, wie er die Tränen auf seinen Wangen
erklären konnte, die auf einmal über seine Wangen strömten. Sie waren doch
Wochen lang nicht gekommen. Nicht einmal bei der Beerdigung, als er eine Hand voll
Erde auf das Grab seiner Mutter geworfen hatte, waren sie in seine Augen
getreten. Es hatte ihn gewundert und vielleicht hatte er auch ein wenig Angst
gehabt. „Stimmt etwas nicht mit mir?“ hatte er seinen Vater gefragt, doch der
hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und „Jeder trauert anders, mein
Sohn“ geantwortet.
Das Gefühl, dass nun in ihn hereinkroch, während die
Tränen herausflossen, kam Erleichterung ziemlich nahe. Und war doch anders: Es
schmeckte nach einem köstlichen Schluck klarem Quellwasser nach tagelangem
Durst und hinterließ zugleich das qualvolle Wissen, dass der Durst wiederkommen
wird. Und zwar, sobald kein Wasser mehr da sein würde.
Er war sich bewusst, dass sein Schmerz der Durst war. Und
die Tränen die Trauer. Sobald er keine Tränen mehr übrighätte, würde der
Schmerz ihm wieder auf den Schultern sitzen und ihn langsam aber sicher gen
Boden drücken. „William“, sagte er sich, „du wirst dir deine Tränen einteilen
müssen, wie du dir das Wasser Tropfen für Tropfen einteilen würdest“. Doch egal
wie sehr er es sich vornahm: Er weinte weiter. Nahm immer wieder einen Schluck
Wasser. Schluckte immer wieder das kühle Nass. Spürte immer wieder neue
Tränenspuren auf seinen Wangen.
Er ließ seiner Trauer seinen Lauf. Und als die letzten
Tränen geweint waren, wischte er sich über die Wangen und grub seine Hände in
seine Bettdecke. Durst ist eine normale Sache, sagte er sich. Er kommt immer
wieder, wie der Schmerz. Und so, wie dann etwas zu trinken für mich da sein
wird, werden dann die Tränen wieder da sein. Schmerz und Trauer gehören
zusammen.
von Jonas Gadomska
Welche Farbe hat
Hass?
„Setz dich“, sagte er und ging mit drei Schritten um seinen
eichernen Schreibtisch, den er aufgrund seines Aussehens liebevoll den „dritten
Resulutdesk“ nannte. Dieses Ritual, welches ich von Anfang an nicht
hinterfragen wollte, versetzte ihn in einen Zustand völliger Zufriedenheit. Er
sah so aus als würde er seine jahrzehntelang angestaute Unzufriedenheit bei
jedem Ritual aufs Neue loslassen, ja sogar verbannen. Er setzte sich in seinen
Sessel und deutete mit seinem Zeigefinger auf einen alten, in einer Ecke
stehenden Schrank und fügte: „Erste Tür, Dritte von linksoben“, hinzu. Ich
stand auf und öffnete die besagte Schranktür. Zu meinem Erstaunen verbarg sich
hinter jener Tür eine verstaubte Schallplattensammlung. Ich nahm, die mir
vorgeschriebene, Platte heraus. Nachdem ich stutzig feststellen musste, dass
jenes Schallplattencover keinerlei Inschrift besaß, verformte sich mein
gespannter Gesichtsausdruck zu einer angespannten Fratze, welche eher zu einem
schlecht gespielten Horrorfilm passen könnte. Als er dies sah, stand er auf und
nahm die Schallplatte entgegen. Er machte den Plattenspieler an. Rauschen. Ich
sah ihn verwundert an. Er hatte die Augen geschlossen und wippte mit seinen
Fingern in einem imaginären Takt. Nach einiger Zeit schaltete er den
Plattenspieler aus. Schweigen. „Und was hat das mit der Farbe des Hasses zu
tun?“, fragte ich verdutzt. Er antwortete nur: „Du willst nicht wissen, was
echter Hass ist.“
von Tassia Weimann
Wie spricht
Traurigkeit?
„Weißt du, was ich heute beim Autofahren gedacht habe? Ich
bin egoistisch.“, fängt die kleine zierliche Person vor mir an zu sprechen. Sie
rührt den Teelöffel in ihrem schwarzen Tee, der schon viel zu lange zieht,
gegen den Uhrzeigersinn. Ich wette, er ist bitter geworden. „Ich möchte all
diese Lieder für mich haben. Diese schönen traurigen Lieder, die ich im
Auto mit voller Kehle mitsinge. In denen ich all den Schmerz nach draußen
schreie. Ich hoffe, die Leute sehen mich beim Vorbeifahren und denken „Was
schreit diese Frau da?!“. Sie sollen mich sehen, wie ich scheinbar wortlos
schreie. Denn das gehört mir. Dieses Lied, der Schmerz, die Erinnerungen. Wenn
ich „'cause you never were and you never will be mine“ schreie, gehört das mir.
Er gehört mir, auch wenn ich ihn nicht haben kann. Ich will das mit niemanden
teilen. Niemanden das gleiche Lied voller Sehnsucht singen hören, niemanden die
gleichen Gefühle für ihn haben sehen.“ Sie schweigt, schaut auf ihren Löffel
und ich sehe ihre Traurigkeit. Sie sieht aus, als würde sie jeden Moment in
sich zusammenfallen. Ihre Stimme klingt so monoton mit ein paar spitzen Bergen
der Verzweiflung zwischendurch. Als würden die versiegten Tränen mit jedem Wort
das Salz auf den Lippen aufschichten. Sie baut die Alpen vor sich auf. Ich kann
sie kaum noch sehen.